Aus: "Schwarzer Faden", Nr. 11, 2/1983
Möglichkeiten und Grenzen anarchistischer Mitarbeit bei den Grünen
"Am Freitag, den 25. 3. 1983 trafen sich im 'Grünen Laden' etwa 30 grüne und nicht-grüne, anarchistisch denkende Leute um eine Landes AG Anarchie/Basisdemokratie zu gründen. Es wurden Erfahrungen und Meinungen ausgetauscht, die zum Teil weit auseinanderlagen. Innerhalb des kurzen Abends konnten keine gemeinsamen Positionen erarbeitet werden. Gemeinsam beschlossen wurde aber, weiterhin zusammenzuarbeiten. Dazu wollen wir uns am 14./15. Mai 1983 in Wuppertal treffen." (aus "Grünes NRW-Info" 4/5, 1983)
1.Einige Bemerkungen zur Situation innerhalb der Grünen
Trotz vieler Möglichkeiten sind die Entscheidungsstrukturen bei den Grünen häufig undurchsichtig und mehr und mehr werden Beschlüsse in den oberen Gremien gefasst, bevor die Basis darüber entschieden hat. Die grüne Fraktion im Parlament mit ihren Mitarbeitern und der seit März einsetzende Zustrom von neuen, meist unerfahrenen Mitgliedern wird diese Tendenz noch verstärken.
Inzwischen arbeitet ein nicht unbedeutender Teil der Linken innerhalb der Grünen mit. Das hat nicht nur eine stärkere inhaltliche Einflußnahme zur Folge, sondern auch die Tendenz zur Fraktionierung nimmt zu. Der innerlinke Kampf um Einflußsphären mit all seinen negativen Erscheinungsformen findet jetzt auch innerhalb der Grünen statt. In den 70er Jahren haben die zahlreichen K-Parteien trotz unveränderter theoretischer Fundamente die meist fragwürdige Flexibilität besessen, sich aufkommenden sozialen Bewegungen oberflächlich anzupassen, um sie vereinnahmen zu können. Ihre neue Heimat bei den Grünen zwingt diese Gruppen, ihre bisherigen inhaltlichen Positionen zu überdenken, denn ein kommunistischer Gewerkschafter und ein Ökologe müssen ja auf Dauer irgendwie in den Grünen miteinander zurechtkommen.
Manche Gruppe im neuen alternativ-grünen Gewande hat heute noch große Schwierigkeiten, ihre linkssozialdemokratische oder othodox-marxistische Vergangenheit hinter sich zulassen: Das sieht man an dem nur zögernden und mit Vorbehalten versehenen Aufgreifen einer antiautoritären Selbstverwaltungsperspektive in der wirtschaftspolitischen Diskussion, in der Vernachlässigung des radikal-pazifistischen sozialen Verteidigungskonzeptes in der friedenspolitischen und an der von ständigen Mißverständnissen begleiteten Debatte über den Industrialismus.
2. Was veranlasst Anarchisten, innerhalb der Grünen politisch mitzuarbeiten?
Viele sehen in den Grünen eine Anti-Partei, in der wichtige Bestandteile des Anarchismus anzutreffen sind. Einige sind in Ermangelung eines akzeptablen überörtlichen anarchistischen Organisationsansatzes bei den Grünen gelandet, andere sind erst hier mit anarchistischen Ideen vertraut geworden. Weiter hat die grüne Partei ihrer Ansicht nach in Kleinstädten und auf dem Lande eine wichtige Funktion.
Hier ist die Bevölkerung dem Autoritätsdenken besonders verhaftet, so daß es nahezu unmöglich ist, als Anarchist aufzutreten. Ferner fehlt es hier an einer breitgefächerten Bürgerinitiativbewegung, die sich der wichtigen Themen annehmen könnte. Indem die zumindest teilweise anerkannte parteiähnliche Struktur der Grünen benutzt wird, kann dem Bewußtsein der Bevölkerung auf halbem Wege entgegengekommen werden, um anarchistische Inhalte zu transportieren. Einem großen Teil der grünen Anarchisten ist klar, daß es bei diesen Überlegungen allein nicht bleiben darf, sondern eine zielstrebige Weiterentwicklung der vorhandenen Ansätze zu einer selbstständigen Interessenvertretung erreicht werden muß.
3. Möglichkeiten und Grenzen
Vorerst soll die in Bewegung geratene innerlinke und grüne Diskussion ausgenutzt werden, um anarchistische Kritik endlich in ein breites Publikum zu hineinzutragen und dort Lernprozesse zu bewirken. Allerdings besteht hier die Gefahr, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Bisher haben wir hauptsächlich in Bürgerinitiativen mitgearbeitet, die sich eine klar umrissene Aufgabe gestellt haben, etwa ein Atomkraftwerk zu verhindern. Wir setzen uns als Anarchisten z.B. für die Anwendung von direkten Aktionen ein oder versuchten von bestimmten Honoratioren ausgehandelte faule Kompromisse zu verhindern.
Diese Absichten waren klar und eindeutig. Die Situation innerhalb der Grünen ist aber anders als in Bürgerinitiativen, weil hier die nur andeutungsweise vorhandenen programmatischen Zielvorstellungen der Anarchisten in Konkurrenz zu umfangreichen und gut ausgearbeiteten Theorieansätzen anderer sozialistischer Richtungen stehen. Während sich nichtlibertäre Gruppen ohne große Schwierigkeiten in einer parteiähnlichen Struktur wieder finden, ist bei der anarchistischen Arbeitsgruppe innerhalb der NRW-Grünen eine nicht unbegründete Abneigung gegen Formen des polit-strategischen (Macht-)Denkens vorhanden.
Unsere Kritik an aufkommenden autoritären Strukturen innerhalb der Grünen war bisher recht zutreffend und hat deswegen spontan manchen Beifall vom murrenden Parteivolk erhalten. Dies reicht aber nicht aus. Es kommt nicht so sehr darauf an, bei jedem beliebigen Vorgang von unserer Seite Mißfallen kundzutun. Eine so aussehende Mitarbeit bei den Grünen hat bestimmt nicht zur Folge, daß unsere Bestrebungen realitätsnäher und wirkungsvoller ausgerichtet sind, als es in den bisherigen anarchistischen Organisationsversuchen zum Ausdruck kam.
4. Ausblick
Wichtiger ist, dass wir und die Fähigkeiten aneignen, in festen Arbeitsprojekten Verantwortung dafür zu übernehmen, Aktionen und theoretische Diskussionen kontinuierlich in eine libertäre Richtung hin zu entwickeln.
Die recht unterschiedlich ausfallende Mitarbeit von Libertären in den Grünen gilt es deswegen immer wieder kritisch zu hinterfragen. Die beschwichtigende Formel "die einen Anarchisten arbeiten eben in diesem organisatorischen Zusammenhang, die anderen in jenem" halte ich nicht für sehr hilfreich.
Wir müssen uns schon die Mühe machen, zu überlegen, in welcher Form wir als Anarchisten in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Als Diskussionsforum zur Klärung unserer Ansichten ist die Landes-AG Anarchie angesichts der weit auseinanderliegenden Meinungen und Erfahrungen der Mitarbeiter sicherlich sinnvoll und angebracht. Aber sie kann nicht den Anspruch erfüllen, eine unabhängige Föderation ersetzen zu wollen.
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