Aus: "Schwarzer Faden", Nr. 16, 4/1984

Bundeskonferenz der Anti-AKW-Bewegung

"Die Grünen zwar nutzen, aber sich nicht auf sie verlassen"

Zum Ziel gesetzt hatten sich die fast 800 Teilnehmer an der Bundeskonferenz eine Bestandsaufnahme des Atomprogramms und des Widerstandes dagegen. Vom 23. bis 25. November 1984 ging es in den 18 Arbeitsgruppen und im Plenum aber auch um die Frage, wie die unabhängige Anti-Akw-Bewegung wieder attraktiver werden kann.

Schwarzer Faden, OriginalartikelImmerhin hat sie in den 10 Jahren ihres Bestehens einiges erreicht: Das Atomprogramm mußte zurück geschraubt werden, weil ein Bewußtseinswandel in breiten Teilen der Bevölkerung die gesellschaftliche Situation verändert hat. Die direkten Aktionen der Anti-AKW-Bewegung haben für diese Entwicklung zum großen Teil den Boden bereitet. Nachdem Friedensbewegung und GRÜNE der Anti-AKW-Bewegung in den letzten Jahren den Wind aus den Segeln genommen haben, ist es um die "friedliche Nutzung der Kernenergie" stiller geworden.

Obwohl von ihrer personellen Besetzung her geschrumpft, zeigte der lebendige Ablauf der BUKO ‚ daß zu einer Vielzahl von Spezialthemen und an jedem Standort unverdrossen Arbeitsgruppen und Basisinitiativen den Widerstand aufrecht erhalten. Wer über die Arbeitsergebnisse dieser Gruppen auf dem neuesten Informationsstand sein will, dem sei der umfangreiche und gelungene Kongressreader empfohlen.

Weltweit - aber besonders in den USA - befindet sich die Atomindustrie in einem unaufhaltsamen Niedergang und auch in der BRD setzen die wirtschaftlichen Probleme den Betreibern enge Grenzen. Allerdings droht die Diskussion um die Atomenergie allmählich zu einer Randerscheinung zu werden, da andere Umweltprobleme wie z. B. das Waldsterben von den Medien und den etablierten Parteien - sicher nicht ohne Grund - in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gestellt werden.

In einem Grundsatzreferat für die BUKO hat Prof. Jens Scheer darauf hingewiesen, daß Radioaktivität kein Umweltgift unter vielen ist, sondern ein unvergleichbar hohes Bedrohungspotential darstellt. Die verschiedenen Umweltgifte dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, aber die ganz besondere Gefährdung durch AKW’s erfordert auch besondere Kampfmaßnahmen - darüber herrschte Konsens auf der BUKO. Während an den Standorten die Bürgerinitiativen weiterhin schwerpunktmäßig zur AKW-Problematik arbeiten, wandelte sich das Aufgabenfeld der anderen, mehr städtischen Initiativen, gründlich. Pseudo-Krupp-Initiativen, Robin Wood, Greenpeace, Waldsterben-Gruppen sind entstanden. Die Aktions- und Informationsarbeit zum Thema Atomkraftwerke hat dadurch längst nicht mehr die Breite und Wirkung früherer Jahre.

Die verschiedenen überregionalen Foren der unabhängigen Anti-AKW-Bewegung (Atommüllkonferenz, diverse Landeskonferenzen, Brokdorf- und Gorlebenkonferenz) sind von ihrer personellen Basis her ausgedünnt und müssen in Zukunft näher zusammenrücken. Der Zusammenschluß von "Atomexpress" und "Atommüllzeitung" zeigt, daß sich sowas auch positiv auf die Qualität der Arbeit auswirken kann. Zu kurz gekommen ist auf der BUKO die Vernetzung und Zusammenarbeit mit den zahlreichen neu entstandenen Waldsterben- und Pseudo-Krupp-Gruppen. Wenn hier nichts passiert, werden sie gänzlich zur fetten Beute des BBU’s und des BUND’s. Mit der innerverbandlichen Demokratie dieser um Seriosität bemühten Vereine ist es nicht weit her.

Schwarzer Faden, Nr. 16Erst kürzlich hat sich der sozialdemokratisch dominierte BBU-Vorstand durch den Versuch der Liquidierung des kritischen "Umweltmagazins" hervorgetan. Auch die deutschlandpolitische Reisediplomatie von Jo Leinen und Schatzmeister Kall hat zwar den BBU für die Herrschenden beachtenswerter gemacht, mit den Inhalten der Bürgerinitiativbewegung hat das allerdings nichts mehr zu tun.

Nachdem die Friedensbewegung an ihre Grenzen gestoßen ist, erhält die Anti-AKW-Bewegung wieder neue Anziehungskraft. Ihr libertärer Anspruch, ihre Kreativität und Spontanität und die Kritik am Expertentum werden sich jedoch nicht voll entfalten können, wenn die Hegemonie der auf Reputation ausgerichteten Vereine innerhalb der Umweltschutzbewegung anhält. Vieles hängt davon ab, ob die im Reader erarbeiteten Anregungen auch an den Standorten mit bereits laufenden Atomanlagen umgesetzt werden.

Auch wenn jetzt der Widerstand in Gorleben für die Umweltbewegung zu einer wichtigen Motivation der bundesdeutschen Anti-AKW-Initiativen geworden ist - der langfristige Erfolg wird von dem Vorhandensein einer lebendigen Infrastruktur der Bürgerinitiativen im ganzen Land abhängen. "Wir können diese Partei zwar nutzen, uns aber nicht auf sie verlassen"

Parteipolitik und Parlament

Diese Einstellung zu dem heißdiskutierten Thema "Grüne Partei und Anti-AKW-Bewegung" war gemessen am Grundtenor des Kongresses noch eine der positivsten. Ein anwesender Grüner stellte fast schon beleidigt eine gewisse Aggressivität der Konferenzteilnehmer gegenüber den anwesenden Mitgliedern seiner Partei fest. Gereiztheit kam nicht ohne Grund auf, denn die von den GRÜNEN in der Vergangenheit in Aussicht gestellten zahlreichen Offensiven gegen Atomanlagen fanden so gut wie nicht statt.

Bei der grünen Bundestagsfraktion reichte es noch nicht einmal zum Selbstverständlichen. Diese selbsternannten parlamentarischen Vertreter der Anti-AKW-Bewegung benötigten mehr als eineinhalb Jahre, bis endlich das Atomsperrgesetz eingebracht wurde, indem die entschädigungslose Abschaltung aller AKW`s in der BRD gefordert wurde. Und dies geschah nur auf Drängen der Bürgerinitiativen. Nun hat das eingebrachte Gesetz, das auch noch in eine 2. Lesung gehen wird, in der Öffentlichkeit für erheblichen Wirbel gesorgt. Hieran sollte in der zukünftigen Arbeit von den Bürgerinitiativen angeknüpft werden. Und zwar nicht im Sinne einer Untermalung grüner Bundestagsaktivitäten, sondern im Sinne einer eigenständig handelnden Bürgerinitiativbewegung, die nur unterstützt, was den selbstgesteckten Zielen nützt.

Chancen für einen weiteren erneuten Anlauf der Bewegung bieten die Hanauer Atomanlagen Nukem und Alkem wegen der (vorläufig) geplatzten Tolerierung der SPD-Regierung durch die GRÜNEN. Es kommt in den nächsten Monaten darauf an, daß die Bürgerinitiativen die Initiative wieder zurückgewinnen und klarmachen, daß langfristig sichere Zugeständnisse nicht erhandelt, sondem durch eine kontinuierliche Widerstandsbewegung erkämpft werden. Ein solches Vorgehen würden auch diejenigen Kräfte innerhalb der GRÜNEN unterstützen, die ihre politische Herkunft aus den Anti-AKW-Initiativen noch nicht vergessen haben und sie zu einem rigorosen Vorgehen gegen innerparteiliche Anpassungstendenzen ermutigen.

Gemessen an dem, was die GRÜNEN versprochen und an Erwartungen geschürt haben, stehen sie vor einem Scherbenhaufen. Nach jeder Wahl und den dann folgenden Tolerierungsverhandlungen plagt sie ihr schlechtes Gewissen: "Selbstkritisch müssen wir dabei als niedersächsische Grüne feststellen, daß es uns weder innerhalb noch außerhalb des Landtags gelungen ist, der Albrechtschen Atompolitik wirkungsvoll etwas entgegenzusetzen. (...) Viele meinten, wir würden das Kind schon schaukeln. (...) Es ist sicherlich eine Illusion zu glauben, die GRÜNEN könnten die Anti-AKW-Bewegung ersetzen" (Aus: Stellungnahme der GRÜNEN zur BUKO).

Von der Anti-AKW-Bewegung haben dies nur wenige geglaubt, wohl aber ein großer Teil der GRÜNEN selber. Die Teilnehmer in der gut besuchten AG "Verhältnis GRÜNE/Anti-AKW-Bewegung" haben in der Mehrzahl immer wieder betont, daß es wichtig ist, die GRÜNEN mit unseren Forderungen direkt anzusprechen und zu konfrontieren. Die BUKO verabschiedete dementsprechend am Sonntag mit großer Mehrheit folgende Resolution:

Verhältnis von Anti-AKW-Bewegung zu den GRÜNEN

„Auch wenn die Medien in den vergangenen Monaten oft einen anderen Eindruck erweckt haben: Wir verstehen uns nicht als Wasserträger irgendeiner Partei, auch nicht der GRÜNEN. Und wir wissen, daß der Kampf gegen die Atommafia in erster Linie außerhalb der Parlamente geführt werden muß. Wir widersprechen also jenen, für die Politik erst innerhalb der Mauern und Rathäuser beginnt.

Die Partei der GRÜNEN werden wir daran messen, ob und wie entschieden sie die Ziele in ihrem Teilbereich der Politik vertritt. Dabei wissen wir, daß die Gefahr groß ist, daß sie sich aus einem Arm der außerparlamentarischen Bewegungen (von denen wir eine sind) in deren Stellvertreter und schließlich in eine Kraft verwandelt, die den Herrschenden statt den Unterdrückten dient.

Die Bundeskonferenz fordert die GRÜNEN auf, als Vorbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen mit der SPD in Bund oder Ländern über eine eventuelle Tolerierung oder Regierungsbeteiligung die Verpflichtung zur sofortigen Stillegung sämtlicher Atomanlagen zu verlangen."

So sehr diese Resolution auch zu begrüßen ist, am Sonntag hatte ich über mehrere Stunden hinweg den Eindruck, daß etliche Initiativen ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich darauf konzentrierten, bestimmte Resolutionen durchzubringen. Sie kamen auf diese Weise der für grüne Delegiertenversammlungen typischen Politikform schon bedenklich nahe.

Wendische Perspektiven

Zu einer intensiven und fruchtbaren Diskussion kam es am Sonntag im Plenum über die Perspektiven des Widerstands im Wendland nach dem Tag X. Es herrschte Übereinstimmung, daß es gelingen muß, den politischen Preis für die Betreiber der Atomanlagen und die verantwortlichen Politiker so hoch zu schrauben, daß die Zwischenlager in Gorleben für diese Leute an Attraktivität verlieren.

Die direkten Verhinderungsversuche haben in letzter Zeit zugenommen und erhalten vermehrt Zuspruch von örtlichen Bürgerinitiativen. Die früher üblichen Distanzierungen sind angesichts der drohenden Gefahr von 300 schwerbewaffneten Atommülltransporten seltener geworden. Dafür geraten die aktiven Umweltschützer immer mehr durch Kriminalisierungsversuche unter Druck. Im Landkreis Lüchow-Dannenberg haben in den letzten drei Monaten 17 Razzien der Polizei stattgefunden. Es laufen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren wegen Nötigung, schweren Eingriffs in Schienen- und Straßenverkehr, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten bis hin zur Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Um den Widerstand zu verbreitern, wurden von der Gorleben-Arbeitsgruppe Aktionstage am 25. und 26. Januar im Wendland vorgeschlagen. Durch den "Besuch" von Betreiberfirmen und Politikern am Freitag und durch Aktionen entlang der Castor-Transportstrecke am Samstag soll die Verbundenheit zwischen direktem und legalem Widerstand gezeigt werden. Im Plenum führte der in der Resolution vorgeschlagene Begriff "massenhafter ziviler Ungehorsam" zu einer Kontroverse (die der TAZ-Korrespondent u. a. offensichtlich nicht mitbekommen haben). Mehrere Redner griffen die dadurch vorgenommene Festlegung auf gewaltfreien Widerstand an und legten ihn als Distanzierung vom direkten Widerstand aus. Jens Scheer betonte, daß "ziviler Ungehorsam" von seinem ursprünglichen Bedeutungsinhalt eine radikale Kampfansage an den Staat bedeutet, dieser Begriff allerdings in der wendischen Perspektivdiskussion anders besetzt sei und die Ausgrenzung von direkten Verhinderungsversuchen zur Folge hat. Diese Ansicht setzte sich durch, und es wird nun zum massenhaften "Protest und Widerstand im Sinne der Wendlandblockaden" aufgerufen.

Bei zukünftigen Atommülltransporten werden die bundesweiten Alarmketten nur ausgelöst, wenn die Erfolgsaussichten hoch eingeschätzt werden. Alle anreisenden Gruppen sollen schon vorher wissen, an welchen Punkten sie welche Aktionen durchführen und deswegen frühzeitig Kontakt zu Gruppen aus dem Landkreis aufnehmen.

Wir stürmen den Weltwirtschaftsgipfel

Die BUKO hat sich nicht nur selbstgenügsam mit Energiefragen befaßt, sondern zog Sozialabbau, Ausbeutung von Menschen, Kriegsvorbereitung und Wirtschaftspolitik in ihre politischen Überlegungen mit ein. Auf Initiative des "Göttinger Arbeitskreises gegen Atomenergie" wurde von dem Plenum beschlossen, dem mit großem Aufwand inszenierten Gipfeltreffen der westlichen Industrienationen am 2. bis 5. Mai 1985 in Bonn Aktivitäten aller sozialen Bewegungen entgegenzusetzen. Zu diesem Zweck wird eine bundesweite Konferenz am 9. Februar 1985 in Göttingen stattfinden.

Es wird vorgeschlagen, in der Woche des Weltwirtschaftsgipfels lokale und regionale Veranstaltungen zu Wirtschaftsfragen durchzuführen. Für den Vorabend der zentralen Widerstandsaktion findet eine große Veranstaltung (ev. Tribunal) statt, auf der die von imperialistischer Politik Betroffenen (Bergarbeiter, Nicaragua) zu Wort kommen sollen. Als Höhepunkt wird eine kämpferische Großdemo in Bonn am 4. Mai vorgeschlagen.

RWE-Tribunal

Aus der Einsicht heraus, daß Fehlentwicklungen wie der Bau von Atomanlagen auch darauf beruhen, daß die zentralistische Struktur der Energieversorgungsunternehmen eine Kontrolle und Mitwirkung der Bürger unterbinden, wird das RWE-Tribunal am 23. und 24. Februar 1985 in Essen stattfinden. Ziel des Tribunals ist es, die verheerende Umweltpolitik des größten Stromerzeugers der BRD in die öffentliche Diskussion zu bringen, die militärischen Verflechtungen aufzudecken und Widerstandsstrategien gegen die RWE-Politik zu entwickeln.

An der Vorbereitung des Tribunals sind zahlreiche Initiativen aus der Anti-AKW-Bewegung, Waldsterben-Gruppen und Pseudo-Krupp-Inis beteiligt. Auf der BUKO wurde darauf hingewiesen, daß von sozialdemokratischer Seite – ohne Erfolg – versucht worden ist, das Tribunal um ein Jahr zu verschieben. Offensichtlich befürchtet die SPD vor den NRW-Landtagswahlen, daß die von ihr mitgetragene verfehlte RWE-Energiepolitik zum vielbeachteten Thema wird.

Durch den Einzug der GRÜNEN in zahlreiche Rathäuser besteht in Zukunft außerdem noch die Möglichkeit, den RWE-Riesen über die an ihm beteiligten Kommunen unter Druck zu setzen. Wie dieses Vorgehen innerhalb bestehender Strukturen verknüpft werden kann mit einem direkten, praktischen Widerstand (z.B. verstärkte Giroblau- bzw. Stromzahlungsverweigerungsaktivitäten) - auch das sollte meiner Meinung nach bei einem solchen Tribunal nicht zu kurz kommen.

 

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