Aus: "Schwarzer Faden", Nr. 22, 3/1986

Das Umbauprogramm der GRÜNEN: Staatsökologie als Wahlkampfschlager!

Als Ausdruck einer grundlegend veränderten politischen Lage wollen die GRÜNEN ihr Umbauprogramm verstanden wissen. Es wurde nach der Wahlniederlage im Saarland auf der Bundesversammlung in Hagen im Juni 1985 beschlossen und liegt seit März 1986 vor. Auf einem "Umbaukongreß" im April wurde über das 98-Seiten-Werk diskutiert.

Die Bundeskonferenz in Hannover hatte im Mai mit der Verabschiedung des Bundestagswahlprogramms und der Atomdebatte genug zu tun, so daß erst Ende September das Umbauprogramm verabschiedet werden kann. Monatelang wurde unter erheblichem Aufwand von der Bundestagsfraktion und ihren Expertenkommissionen an dem Programm gearbeitet.

Die außerordentliche Notwendigkeit ergibt sich nach den Aussagen der Initiatoren des Umbauprogramms aus der Tatsache, daß vor allem die SPD auf ökologischem und sozialpolitischem Gebiet erheblich an Glaubwürdigkeit gewonnen hat. Von daher "müssen konkrete grüne Konzepte auf den Tisch kommen, die die Vorschläge der Altparteien als unzulänglich und demagogisch entlarven" und "die Ernsthaftigkeit grüner Politik dadurch unterstreichen, daß die grundsätzliche Umsetzbarkeit unserer Forderungen nachgewiesen wird" (Manfred Busch, in: Grünes Info Nr.4/86).

Für die politische Einordnung und Bewertung des auf mindestens 4 bis 5 Jahre angelegten "Programms zur Überwindung von Erwerbslosigkeit, Armut und Umweltzerstörung" (so der Untertitel) werden ein realpolitisches Mehrheitsvotum und ein ökosozialistisches Minderheitsvotum in der Präambel angeboten. In dem Mehrheitsvotum wird allen Ernstes die Auffassung vertreten: "Wir lehnen den Markt als wichtiges Instrument der Regulierung des Wirtschaftsprozesses nicht ab, wir vergöttern ihn aber auch nicht" (S. 7). Eine Konkretisierung dieser schwammigen Aussage findet sich in dem Mehrheitsvotum nirgendwo. Selbst das Godesberger Programm der SPD von 1959 definiert noch treffender: "Es ist also nicht die Frage, ob in den Wirtschaft Dispositionen und Planung zweckmäßig sind, sondern wer diese Disposition trifft und zu wessen Gunsten sie wirkt" (S. 13).

Während im Minderheitsvotum wenigstens die Notwendigkeit eines "starken Drucks" (S. 12) seitens der Bevölkerung eingesehen wird, um politische Ziele durchzusetzen, bleibt das Mehrheitsvotum bei abstrakten Zielvorgaben stehen, ohne daß auf die Wechselwirkungen von sozialen Auseinandersetzungen und Durchsetzungschancen von grünen Vorschlägen eingegangen wird. Dieser Mißstand erklärt sich aus der Tatsache, daß in den letzten Jahren ein Großteil der Mitglieder Parlamentarier geworden sind und nur noch wenig mit den Basisinitativen in Kontakt kommen. Trotzdem müssen die grünen Parlamentarier die Initiativen bei Laune halten, um die nächsten Wahlen durchstehen zu können. Immer nur die Empörung der Bewegung auf Parlamentsebene folgenlos zu referieren, reicht auf die Dauer als Legitimation für das eigene Tun nicht mehr aus.

Selbst die grüne Bundestagsfraktion kann keine Wunder vollbringen und verliert den Glanz als Hoffnungsträger. Die GRÜNEN haben erkannt, daß sie sich etwas einfallen lassen müssen, um verlorengegangenes Terrain zurückzugewinnen. Die Folge sind jedoch keine neuen Vorschläge und Anregungen an die Adresse der Basisinitiativen, wie sie in den laufenden Auseinandersetzungen etwas besser machen könnten, sondern sie tun etwas ganz anderes: Dem innerparteilichen Umbau von ehemaligen Basisaktivisten in Parlamentarier lassen sie einen Umbau ihrer Wähler-Zielgruppe nachfolgen.

Jetzt ist es der reformwillige, ökologischen Fragen aufgeschlossene Mittelstand, der umworben wird. Und den kann man nicht mit angeblich "abstrakten Bekenntnissen" überzeugen, sondern mit im Umbauprogramm vorgestellten machbaren Reformschritten, die außerdem auch noch in ihren Einnahmen und Ausgaben für den Staatshaushalt bis ins letzte Detail durchkalkuliert werden, weil ja schließlich alles seine Ordnung haben muß!

"Die Programmarbeit ist für mich ein Beispiel dafür, daß wir in dem Maße, wie wir die Ideologie raushalten, auch zu Ergebnissen kommen, mit denen eine Fraktion, aber auch eine Partei sehr gut leben kann"‚ stellt Jo Müller in seinem Interview in DIE ZEIT (25.4.86) zufrieden fest. So ist es gewiß kein Zufall, daß das Umbauprogramm ein Jahr vor den Bundestagswahlen vorgelegt wird, um medienwirksam die Reformpolitikfähigkeit der GRÜNEN zu unterstreichen. Das Umbauprogramm entspricht in erster Linie den Bedürfnissen des oberen Drittels der Parlamentarier- und Zuarbeiterhierarchie‚ die einen möglichst effektvollen und problemlosen Einstieg in den Bundestagswahlkampf wollen. Das Grundsatzprogramm und das Sindelfinger Programm sollen zwar weiter gültig bleiben, aber die reale Politik der GRÜNEN wird sich in Zukunft am Umbauprogramm orientieren.

Die Gunst der Stunde nutzen jetzt die Realos aus, um biedere sozialdemokratische Reformpolitik intellektuell aufgepäppelt als "reformpraktischen Diskurs" zu verkaufen und zu lobpreisen: "Es ist das stärkste Stück, das die GRÜNEN bisher an Reformprogrammatik vorgelegt haben: eine ziemlich komplette Zusammenstellung detaillierter Maßnahmen zur 'Ökologisierung' der Gesellschaft. (. . .) Aus allen Vorschlägen spricht das Interesse an der Realisierung des Machbaren, ohne auf ein fundamental anderes System zu warten." (Helmut Wiesenthal in Kommune 5/86).

Allein der Gebrauch der Sprache ist eine einzige Zumutung. Während den Kritikern des Umbauprogramms die passive Haltung auf ein anderes politisches System angedichtet wird, stellen sich die Realos als erfolgreiche Reformpraktiker und eifrige Umbauer dar. Hier wird von den Realos unterstellt, daß nur wer (realpolitisch gefärbte) Reformen will, auch praktisch sein kann. In Wirklichkeit haben sich die mehrheitlich realpolitischen Parlamentarier im auswegslosen Institutionengestrüpp verheddert und bewegen dort fast nichts mehr, während die Praktiker an der Basis Aktionen durchführen, die etwas erreichen und auf die sich dann wiederum die grünen Parlamentarier berufen.

Die zahlreichen im Umbauprogramm vorgesehenen reformerischen Maßnahmen stehen zwar im logischen Bezug zu anderen im Programm vorgesehenen Teilschritten, sie klammern aber Strategien zu ihrer Duchsetzung aus. Die Trennung dieser reformorientierten Ansätze von radikalen nichtparlamentarisch ausgerichteten Bestrebungen hat zur Folge, daß diese Reformen jedes antikapitalistische Potential verlieren und stattdessen zu Instrumenten eines Integrationsprozesses in das herrschende System werden.

Der größte Teil der im Umbauprogramm vorgesehenen Maßnahmen besteht aus Umschichtungen im Staatshaushalt. "Hinter ihrer vermeintlichen staatsfeindlichen Haltung entpuppen sich die GRÜNEN mit ihrem Umbauprogramm nicht nur als staatstragend, sondern als auf geradezu beängstigende Weise staatsergreifend und Staatseingriffe ausheckend", schreibt Joseph Huber in DIE ZEIT (2.5.86).

Zur Sicherung der natürlichenLebensgrundlagen sollen die Verbraucher insgesamt um rund 15 Milliarden DM belastet werden. Den erhöhten Benzinpreisen sowie den erhöhten Müll- und Abwasserentsorgungskosten stehen Entlastungen durch verbilligten Wohnraum und sinkende Tarife im öffentlichen Personenverkehr gegenüber. Diese Maßnahmen unterscheiden sich von einer sozialdemokratischen Strategie nur durch ein bißchen mehr Ökologie. Die GRÜNEN "erobern" die Staatsmacht und machen dann in den Bereichen, wo der Staat zuständig ist, eine neue Politik.

In dem Umbauprogramm wird die gefährliche Illusion verbreitet, Veränderungen ließen sich Schritt für Schritt nach einem festen Plan durchführen. Diese Vorstellung kommt zwar dem naiven Wunschdenken eines Teils der Wähler entgegen, Reformen ließen sich durchsetzen, wenn eine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden sei - aber dem ist nicht so. Ein Dutzend Linksregierungen in Europa sind am Widerstand der Unternehmer gescheitert, weil sie von einem allzu mechanistischen Verständnis gesellschaftlicher Veränderungen ausgegangen sind und eine Massenmobilisierung für ihre Reformen nicht gewagt haben.

Und da auch die GRÜNEN die Möglichkeit direkt Druck auszuüben immer weniger für sich selbst in Betracht ziehen, müssen sie es bei den Unternehmern mit finanziellen Anreizen versuchen. "Aus Mitteln der Grundchemikalienabgabe wird ein 'Konversionsfonds sanfte Chemie' eingerichtet (in den nächsten Jahren durchschnittlich 900 Millionen DM jährlich), ausdem die chemische Industrie Mittel für Forschung und Entwicklung neuer umweltverträglicher Verfahren beantragen kann" (S. 57). Der gutverdienenden Chemieindustrie sollen also noch die Millionen nachgeschmissen werden, obwohl sie mit ihren Mitteln problemlos in die sanfte Chemie einsteigen könnte, wenn sie nur wollte.

Die GRÜNEN versuchen auf dem Umweg der Subventionierung den Konzernen Umweltschutz etwas schmackhafter zu machen. Gerade in diesem hochgefährlichen Bereich ist es eine wirkliche Lösung des Problems nur durch den Entzug der Verfügungsgewalt der Unternehmer auf die Produktionsmittel zu erwarten. Selbst in einem reformistisch orientierten Umbauprogramm hätte zumindest ein direkter Zusammenhang zwischen kapitalistischer Produktionsweise und ökologischer Krise hergestellt werden müssen, um klar zu sagen, welche Auseinandersetzungen zu erwarten sind, wenn die Chemieindustrie gegen ihren Willen gründlich umgebaut würde.

In dem Kapitel "Die Rechte der Beschäftigten erweitern" wird die ursprüngliche Idee der Selbstverwaltung als autonome Organisations- und Kampfform fallengelassen! "Die Montanmitbestimmung und die Mitbestimmung in den Großunternehmen muß in Richtung auf volle Parität erweitert werden"‚ wobei "zu erwägen ist, ob an Stelle des neutralen Mitglieds im Aufsichtsrat ein unabhängiger Vertreter der Umweltinteressen gewählt wird."(S. 70). Die GRÜNEN geben im Umbauprogramm keine Antwort auf die Frage, wie der sowieso schon zu starke Einfluß der Unternehmer effektiv zurückgedrängt werden kann. Im Gegenteil, sie institutionalisieren ihn auch noch! In den vorgesehenen regionalen Wirtschafts- und Sozialräten "sitzen zu je einem Drittel Vertreter der Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften sowie der Verbraucher-‚ Natur- und Umweltschutzverbände" (S. 71).

Die alternative Kleinökonomie wird natürlich nach allen Regeln der Kunst verhätschelt. Doch seltsam, die vielgepriesene Selbstverwaltung expandiert nach grüner Vorstellung nur da, "wo Arbeitnehmer durch Konkurs bedroht sind oder die Verantwortung für lebensfeindliche Produkte nicht mehr tragen wollen" (S. 74). Also gibt es Selbstverwaltung nur dort, wo der Kapitalismus schlapp gemacht hat oder einige ökologisch besonders gefährliche Produkte hergestellt werden und der Rest der Arbeiter darf schön paritätisch mit den Unternehmern an einem Tisch sitzen.

Ein wahrer Dschungel von geplanten Verordnungen, Sonderabgaben und neu zu schaffenden Kommissionen haben innerparteilich zu Verunsicherung und Kritik geführt. Mit diesem administrativen Ansatz ist eine Bürokratisierung und Reglementierung vieler gesellschaftlicher Bereiche bis hin zur Einrichtung einer Umweltpolizei verbunden. Sieht so die Utopie der GRÜNEN aus? Es ist nicht so lange her, da war es innerparteilich noch die große Mode, dem rechten Herbert Gruhl vorzuwerfen, er wolle einen mit allen Machtmitteln ausgestatteten autoritären Ökostaat.

Die GRÜNEN wollten mit dem Umbauprogramm aufzeigen, wie Teile ihres Programms schon jetzt umgesetzt werden können und haben doch nur gezeigt, daß sie es waren, die sich haben umbauen lassen.

Die Mühe, das Programm auszuarbeiten war allemal vergebens, weil bei den gegebenen Kräfteverhältnissen auch nach der nächsten Bundestagswahl die GRÜNEN nicht die Gelegenheit erhalten werden, an einer Regierung mitzuarbeiten. Durch eine Verzettelung in jetzt völlig unerhebliche technokratische Detailfragen wurde eine Menge Energie verschwendet‚ die auf subversive Weise genutzt, sicherlich mehr bewirkt hätte.

 

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