Aus: "Schwarzer Faden", Nr. 13, 1/1984
Guerins "Die braune Pest" (Rezension)
50 Jahre nach der Machtergreifung des Faschismus steht uns wiederum eine Weltwirtschaftskrise bevor; bürgerliche Freiheiten werden zunehmend beschnitten. Die Regierungen wälzen die Last der Krise auf die arbeitende Bevölkerung ab.
Ausländische Arbeiter werden zu Sündenböcken abgestempelt. Nationalistische Stimmungen breiten sich aus und korrespondieren in gefährlicher Weise mit Teilen einer Friedensbewegung, die von einem wiedervereinten und waffenfreien Deutschland träumt... Alles schon einmal dagewesen? - Eine faschistische Machtergreifung steht in keinem europäischen Land bevor, doch werden die Zeiten nach der Wende härter und man tut gut daran, die Entstehungsbedingungen des Faschismus aufzuarbeiten, um im Hier und Jetzt richtige Entscheidungen fällen zu können.
Die offizielle Geschichtsschreibung stellt fälschlicherweise den Faschismus als eine anti-bürgerliche, antidemokratische Bewegung dar, die absolut nichts mit der bürgerlichen Gesellschaft zu tun habe, aus der er sich entwickelt hat.
In seiner Reise ins "Innere" der Deutschen im Jahre 1932 und 1933 hilft Daniel Guerin durch seine lockere, einfache Erzählweise auch dem in der Geschichte nicht so Bewanderten, komplizierte Zusammenhänge zu durchschauen. In seinem Buch finden wir keine verkürzten Gegenüberstellungen von miteinander konkurrierenden Programmen und Theorien, sondern er schreibt von den Hoffnungen und Sorgen der Menschen verschiedener Schichten und politischen Lager. Wohin Guerin bei seiner Reise auch kommt, überall findet er aufgebrachte und fanatisierte Opfer der kapitalistischen Krise.
Bei den Hunderttausenden umherziehenden Arbeitslosen ahnt er schon, was kommt: "Die werden sich, wenn der Tag gekommen, dem Meistbietenden verkaufen; oder ihr zu lange aufgestauter Groll wird brutal explodieren‚ und sie werden mit voller Wucht auf die Prügelknaben losschlagen, die man ihnen vorwirft."
Für die meisten von der Inflation geprellten Bauern steht ihr Sündenbock fest. Es ist die SPD. In den prunkvollen Häusern des Volkes - so wurden die Gewerkschaftshäuser genannt - sitzen Bonzen, die nichts mehr mit der Arbeiterschaft gemeinsam haben und gegenüber der aufkommenden braunen Gefahr völlig ahnungslos sind. Aber es ist nicht so, daß es keinen Hoffnungsschimmer gäbe. Noch kämpfte eine resolute, kraftvolle Bewegung, die im Gegensatz zu den angepassten Sozialdemokraten und dem nationalistischen Ungeist ihre eigene Kultur und Struktur verteidigte. Besonders angetan war Guerin von Kuhle Wampe, dem Zeltlagerplatz von Berliner Arbeitslosen. Doch immer stärker wurden diese Siedlungen mit ihren kleinen Hütten und Gärten von der Reaktion bedroht.
Kommunisten und Nationalsozialisten, die Guerin in der gleichen Schlange vor dem Arbeitsamt sieht, überbieten sich gegenseitig in ihrem Haß gegen das System. Verwirrte treten von einem Lager in das andere über, denn das Schlagwort der "nationalen Befreiung" haben auch die sonst so internationalistisch gesonnenen Kommunisten in der Hoffnung übernommen‚ neue Anhänger zu gewinnen. Guerin spürt in seinen zahlreichen Erlebnissen, daß diese gefährliche Verbindung von zwei Gegensätzen den Nazis die Möglichkeit gegeben hat, in Teilen der Arbeiterbewegung Eingang zu finden, um so ihre Massenbasis in genau dem Umfang zu erweitern, der zu ihrer Machtergreifung noch nötig war.
Lieder und Symbole der Arbeiterbewegung wurden vom Faschismus schnell übernommen und mit anderen Inhalten versehen. Wie es geschehen konnte, daß die Masse der Arbeitslosen und der vom Ruin bedrohte Mittelstand aus der Not heraus sich die Juden als Sündenbock versetzen ließ, deutet er so: "Hitler hat nichts Neues ersonnen; er hat nur gehört, formuliert, erahnt, welches Ventil der Antisemitismus dem Antikapitalismus der Massen böte."
Bei seiner Reise nach der Machtergreifung des Faschismus beschreibt Guerin erschüttert die unzähligen Demütigungen, die fortschrittliche Menschen über sich ergehen lassen mußten - und es sollte noch viel schlimmer kommen. In dem Ausspruch eines davongekommenen Gefolterten "Nie wieder werde ich Politik machen, niemals wieder..." kündigt sich das an, was sich fortschrittliche Menschen heute immer noch von der Mehrheit der Bevölkerung sagen lassen müssen.
Auffallend ist bei Guerin, daß er in seinem Buch die Anarchisten mit keiner Silbe erwähnt. Sie sind viel zu wenige geworden, als daß sie auf den Gang der Ereignisse einen nennenswerten Einfluß hätten ausüben können.
Im Anhang erhält der Leser noch einen guten Überblick über die bisherige Arbeit von Guerin. Als Autor des Buches "Anarchismus" ist er in der BRD bekannt geworden. Er hat im Gegensatz zu vielen anderen Anarchisten die grundlegende Bedeutung von Marx für den Sozialismus anerkannt, allerdings nie auf eine Kritik autoritärer Elemente in seiner Lehre verzichtet.
Eine erfrischende Unvoreingenommenheit dokumentierte Guerin ebenfalls, indem er gemeinsam mit dem Trotzkisten Ernest Mandel ein Buch über die Geschichte des amerikanischen Monopolkapitals geschrieben hat. Daß die faschistische Vergangenheit auch heute noch zum Teil haargenau nach denselben Herrschaftsmechanismen wie damals weiterwirkt, macht Benseler in seinem Nachwort deutlich.
Mit Guerins "Die braune Pest" legt der (man muß wohl schon sagen ehemalige)KBW-Verlag Sendler ein Buch vor, das sich durch seine originelle und populäre Geschichtsschreibung positiv von der Faschismus-Bücherschwemme abhebt.
Sendler-Verlag, Mainzer Landstr. 147, 6 Frankfurt 11, 144 Seiten, 18 DM
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