Aus: Originalbeitrag und Flugblatt der Grün-Alternativen Liste Hamm-Uentrop, September 1989.
Zur Moritz-Bacharach-Straße
In der Nähe des Geländes der Landesgartenschau wollte die Hammer Stadtverwaltung im Jahr 1984 über ein Dutzend neue Straßen ziemlich einfallslos nach süddeutschen Städtenamen benennen. Ich war damals frisch gewählter Bezirksvertreter der kommunalen Wählergemeinschaft Grün-Alternative Liste in der Bezirksvertretung Hamm-Uentrop und beantragte daraufhin, stattdessen lieber die Namen von bekannten antifaschistischen Schriftstellern, Gewerkschaftlern, linken Abgeordneten und eben den ersten jüdischen Ratsherrn in Hamm, Moritz Bacharach, zu verwenden.
Die CDU favorisierte in einem eigenen Antrag ortstypische Namen. Spätestens jetzt muss ich etwas zur speziellen kommunalpolitischen Situation in Hamm-Uentrop sagen. SPD und CDU stellten jeweils neun Bezirksvertreter. Mit meiner entscheidenden Stimme hatte ich kurz zuvor den Bezirksvorsteher der SPD mitgewählt und erwartete nach den zuvor stattgefundenen Gesprächen von der SPD eine gewisse Aufgeschlossenheit insbesondere bei umwelt- und atompolitischen Themen, die mir sehr wichtig waren. Die angeblich in Uentrop besonders "linke" SPD dachte aber nicht im Traum daran, einem besonders lästigen parteipolitischen Konkurrenten irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Auch das hatte seine Gründe.
Mit siebzehn Jahren (hat man noch Träume ...) war ich drei Jahre lang Mitglied der SPD und wurde danach als "Dissident" von dieser Partei besonders mißtrauisch beäugt. Zudem war ich, wie ein Teil der SPD-Bezirksvertreter auch, immer noch Mitglied der Naturfreunde. Und ich stellte (mit Unterstützung vieler engagierter GAL-Mitglieder in Uentrop!) während der Anfangszeit der Legislaturperiode zum Entsetzen der SPD mehr Anfragen und Anträge als alle anderen Bezirksvertreter in ganz Hamm zusammen und war deswegen in den Medien ziemlich präsent. - Die SPD lehnte meinen Antrag ab und regte sich besonders über den von mir vorgeschlagenen anarchistischen Schriftsteller Erich Mühsam auf, der der SPD bereits im Jahre 1907 mit dem Gedicht "Der Revoluzzer" (1) ein sehr bekanntes Spottgedicht gewidmet hatte.
Womit die SPD nun gar nicht gerechnet hatte, dass der CDU-Bezirksvertreter und Ortsheimatpfleger Heinrich Thomas sich während der Bezirksvertretungssitzung ausdrücklich dafür aussprach, zumindest meinem Vorschlag für eine Moritz-Bacharach-Straße zuzustimmen. Dagegen könne doch auch die SPD nicht ernsthaft etwas haben, oder? – Wohl oder übel musste nach einigem Hin und Her die SPD einer Kompromisslösung mit unterschiedlichsten Straßennamen und damit auch einer Moritz-Bacharach-Straße zustimmen, um nicht völlig im Abseits zu stehen.
Als im Jahre 1989 die Straße fertig gebaut und das Straßenschild aufgestellt war, fragte ich die Stadtverwaltung und Bezirksvertretung, ob man bei einem so wichtigen Thema nicht ein erklärendes Zusatzschild hinzufügen könnte. Sie lehnten bedauerlicherweise ab.
Da die Legislaturperiode zu Ende ging und ich aus guten Gründen der Parteipolitik Ade sagen und mich wieder ganz der APO widmen wollte, musste ich schnell handeln und lies in Absprache mit den anderen GALiern ein Zusatzschild "1833 – 1903 Erster jüdischer Ratsherr in Hamm" auf GAL-Kosten anfertigen. Als letzte "Amtshandlung" haben wir dann am 31. August 1989 das Zusatzschild im Rahmen einer kleinen Feierstunde selbst angebracht (siehe WA-Bericht unten) und entsprechende Flugblätter verteilt (siehe unten). Leider wurde das Schild – vermutlich von den damals verstärkt aufkommenden Rechten - wieder abgeschlagen. Ein Naturfreunde-Genosse aus Werries nahm es wieder an sich und wir hängten es erneut auf. Es wurde nach kurzer Zeit wieder abgeschlagen und war nicht mehr auffindbar. So blieb es bis heute.
Ich möchte noch erwähnen, dass es für mich noch einen persönlichen Grund gab und gibt, warum ich mich besonders für diesen Straßennamen engagierte. Eine Tante von meiner Mutter war zu Lebzeiten von Moritz Bacharach jahrelang bei ihm als Haushaltshilfe angestellt. Darauf sind wir bei uns in der Familie öfters zu sprechen gekommen. – Heute freue ich mich, wenn ich dem Namen dieser an sich kleinen Straße trotzdem recht oft zu verschiedenen Anlässen begegne. Nein, nein, ich meine nicht in erster Linie die Anwaltskanzlei, die dort residiert. Es ist vielmehr die ALDI-Filiale, die mit Prospekten und Inseraten unaufhörlich die Massen an den ersten jüdischen Ratsherren Moritz Bacharach erinnert! - Ein Zusatzschild wäre aber trotzdem nicht schlecht ...
(Originalbeitrag vom Januar 2018)
Anmerkung:
(1) http://www.machtvonunten.de/literatur-und-politik.html?view=article&id=101:erich-muehsam-sich-fuegen-heisst-luegen&catid=13:literatur-und-politik
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Flugblatt der GAL-Uentrop vom September 1989:
Warum gibt es die Moritz-Bacharach-Straße?
Auf Antrag der GAL-Uentrop im Jahre 1985 wurde diese Straße nach dem ersten jüdischen Ratsherrn in Hamm benannt. Dieser Straßenname soll eine Erinnerung an die Opfer der faschistischen Barbarei sein. Nie wieder dürfen bestimmte Bevölkerungsgruppen als Sündenböcke für wirtschaftliche Schwierigkeiten abgestempelt werden. Die Erfolge rechtsradikaler Gruppen und die bedenkliche Rechtsentwicklung der CDU zeigen, daß es in diesem Land noch viele Menschen gibt, die aus der Vergangenheit nichts gelernt haben.
Warum befestigt die GAL-Uentrop auf eigene Kosten das Zusatzschild "1833 – 1903 Erster jüdischer Ratsherr in Hamm"?
Weil die Stadtverwaltung und die Bezirksvertretung Uentrop hierfür kein Geld ausgeben wollte. Wir meinen, daß ein erklärender Hinweis an diesem Straßenschild notwendig ist.
Wer war Moritz Bacharach?
Er war Kaufmann, wurde 1870 Stadtverordneter und 1893 Mitglied im Magistrat. Bereits 1859 war er Mitbegründer des ersten Hammer Turnvereins. 1886 wurde er Gründungsmitglied des Museumsvereins. Er rief eine Stiftung für arme Wöchnerinnen ins Leben und verschenkte seine Villa der Stadt Hamm. Diese nutzte sie als Oberbürgermeisterdienstwohnung. Später machten die Faschisten ein Büro der Hitlerjugend daraus.
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Artikel in "Westfälischer Anzeiger" (WA) vom 1. 9. 1989:
GAL brachte Zusatzschild an der Moritz-Bacharach-Straße an
Erster jüdischer Ratsherr in Hamm / 1903 gestorben
Letzte Amtshandlung von Horst Blume als GAL-Bezirksvertreter in Uentrop: Der Politiker brachte gestern an der Moritz-Bacharach-Straße ein Zusatzschild an. "1833 – 1903; Erster jüdischer Ratsherr in Hamm" ist darauf zu lesen. "Wir sind der Ansicht, daß ein erklärender Hinweis an diesem Straßenschild notwendig ist" erläuterte Blume die Aktion. Viele Bürger wüßten nicht, wer Moritz Bacharach war. Und da die Verwaltung kein Geld für derartige Zusatzschilder ausgeben wollte, habe die GAL es auf eigene Kosten angebracht.
Blume: "Es sei sinnvoller orts- und heimatbezogene Namen zu wählen, als irgendwelche Städtenamen. Außerdem solle das Straßenschild als Erinnerung an die Opfer der faschistischen Barbarei dienen. Nie wieder dürften bestimmte Bevölkerungsgruppen als Sündenböcke für wirtschaftliche Schwierigkeiten abgestempelt werden".
Wolfgang Komo hat sich näher mit Moritz Bacharach befaßt: Der jüdische Kaufmann wurde 1870 Stadtverordneter (Ratsherr). 1893 wurde er Mitglied im Magistrat (Dezernent). Bacharach, 1859 Mitbegründer des ersten Hammer Turnvereins, wurde 1886 Gründungsmitglied des Museumsvereins. Zudem rief er eine Stiftung für arme Wöchnerinnen ins Leben. 1900 schenkte er der Stadt seine Villa (neben dem Waldorfkindergarten). Die Stadt nutzte sie als Oberbürgermeisterdienstwohnung. Später machten die Faschisten ein Büro der Hitlerjugend daraus.
Text zum Bild:
Die GAL brachte gestern an der Moritz-Bacharach-Straße ein Zusatzschild an, das auf den ersten jüdischen Ratsherren in Hamm hinweist. "Wenn schon die Villa des jüdischen Kaufmanns im Jahre 1980 abgerissen wurde, so soll wenigstens ein Straßenschild an ihn erinnern", erläuterte Bezirksvertreter Horst Blume.
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Aus der Begründung des Antrages der GAL-Uentrop vom 14. November 1984:
Antrag zur Beschlußvorlage der Verwaltung Nr. 105; hier: Benennung der projektierten bzw. Umbenennung von vorhandenen Straßen innerhalb der Bebauungspläne Nr. 02.060 und Nr. 02.071.
Begründung: Mit dem Vorschlag, diese Straßen nach süddeutschen Städten zu benennen, hat es sich die Verwaltung zu einfach gemacht. Eine bloße Aneinanderreihung von so vielen Städtenamen ist inhaltsleer und nicht geeignet, die mit einer Namensgebung zweifelsohne ebenfalls bezweckten Rückbesinnung auf demokratische Traditionen und Personen gerecht zu werden.
In Anlehnung an die vorgeschlagenen Straßen mit Schriftstellernamen und an die süddeutschen Städtenamen halten wir die oben genannten Vorschläge für sinnvoller.
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