Aus: "FugE-News", Nr. 2, 2003
Widerstand am Kap - Schweigen in Deutschland?
Hamm soll kritische THTR-Infos Südafrika zugänglich machen
Nachdem mit Duldung und Unterstützung von Rotgrün im Bund und in NRW das Forschungszentrum Jülich (FZJ) seit den 90er Jahren an der Weiterentwicklung des Thorium-Hochtemperaturreaktors (THTR) gearbeitet hat, soll diese Atomkraftvariante in Südafrika eine neue Blüte erleben.
Mit dem Bau des Pebble Bed Modular Reactors (PBMR) - so wird der THTR jetzt genannt - soll nach dem Willen der Atomindustrie und der südafrikanischen Regierung im 1. Quartal 2005 begonnen werden, und zwar 28 km nördlich von Kapstadt in Koeberg. Hier, am Atlantik, stehen zwei Druckwasserreaktoren mit je 922 MW Leistung. 1982 hatte der ANC kurz vor der Beladung mit radioaktiven Brennstäben durch Sabotageakte die Inbetriebnahme verzögert. Er wollte verhindern, dass das weiße Rassistenregime mit dem entstehenden Plutonium seine militärische und wirtschaftliche Macht ausbauen konnte.
Heute befürwortet er als Regierungspartei den Bau der neuen Reaktorlinie. Die Einspruchsfrist zur Genehmigung der Umweltvertraglichkeitsprüfung für den PBMR lief am 25. Juli ab. Proteste und öffentlicher Druck bewirkten, dass der Umweltminister sie bis zum 25. August verlängerte. In dieser Zeit hat die Handelskammer von Kapstadt, die bisher den Bau des PBMR nahe der Dreimillionenstadt befürwortete, eine Neubewertung der Wirtschaftlichkeit vorgenommen. Es waren nämlich riesige Erdgasfelder an der Westküste Südafrikas entdeckt worden. Das hatte die Diskussion um Alternativen zur Atomkraft belebt.
Eine Studie von Forest Oil stellte fest, dass ein Gaskraftwerk an der Westküste wirtschaftlicher sei und weitreichende Konsequenzen für die ökonomische Entwicklung haben würde. Zufallig war in dieser Zeit ein Frachter mit 50 Tonnen mittelangereicherrem Uran vor Kapstadt auf Grund gelaufen.
In den letzten Tagen vor Verstreichen der Frist erhob nun auch die Stadtverwaltung Kapstadt Einspruch, ein wichtiger Teilerfolg für die Umweltschützer! Die Heinrich-Böll-Stiftung in Südafrika hatte noch rechtzeitig Teile des Internetauftrittes „Reaktorpleite.de“ der Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm ins Englische übersetzt, sodass südafrikanische Umweltschützer wichtige Informationen zum THTR erhielten.
In Deutschland versuchen die Verantwortlichen für Atom-Know how-Export das Problem totzuschweigen. Umweltminister Trittin antwortet seit sechs Monaten nicht auf unsere Eingabe und ignoriert ebenso kritische Fragen des grünen Kreisverbandes Münster. Forschungsministerin Bulmahn schrieb uns, dass das Forschungszentrum Jülich in Zukunft noch eine Expertise zu einigen Sicherheitsaspekten des PBMR’s erstellen soll, und antwortet seit vier Monaten nicht auf konkrete Nachfragen. Außenminister Fischer, der im Jahre 2000 Südafrika besuchte und unter dessen Oberhoheit die nuklearen Kooperationen vereinbart worden sind, schweigt ebenfalls.
Allmählich wird sich die Hammer Bürgerinitiative überlegen, wie sie mit diesem Verhalten umgehen soll. Zunächst hat die BI einen Bürgerantrag vorbereitet, den möglichst viele Organisationen und Personen aus Hamm bis zum 15. Oktober 2003 unterstützen können. Bitte senden Sie Ihre Unterstützungserklärung an die Bürgerinitiative Umweltschutz.
Zur Zeit wird geprüft, welche Gutachten, Schriften und Bücher übersetzt werden müssen, damit die südafrikanischen Umweltschützer für inhaltliche und juristische Auseinandersetzungen gerüstet sind. Die Stadt Hamm könnte dabei helfen.
Eingabe an den Beschwerdeausschuss der Stadt Hamm:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Hiermit beantragen die unterzeichnenden Organisationen, dass zwischen der Stadt Hamm und der Stadt Kapstadt in Südafrika ein Erfahrungsausstausch zum Thema "Gefahren von Hochtemperaturreaktoren" hergestellt wird. Desweiteren soll hierdurch die solidarische Anteilnahme der Hammer Bürgerschaft an dem Widerstand der Region Kapstadt gegen den geplanten Bau eines Hochtemperaturreaktors 28 Kilometer nördlich von Kapstadt in Koeberg bekundet werden.
Begründung:
Die Stadt Hamm hat seit dem Jahre 1972 umfangreiche Erfahrungen mit dem THTR gemacht. Nicht nur die sich um ein Jahrzehnt verzögerte Inbetriebnahme und die explodierenden Kosten auf insgesamt über sechs Milliarden DM, sondern auch die zahllosenPannen und Störfälle in diesem Reaktor zeigen deutlich, dass vor dem weiteren Ausbau dieser Technologie weltweit gewarnt werden muss. Insbesondere der große Störfall in Hamm-Uentrop, bei dem zeitgleich mit der Katastrophe in Tschernobyl zusätzlich Radioaktivität abgegeben wurde, hat die Hammer Bürger zutiefst beunruhigt und Tausende bewogen, vor den Toren des THTR’s in Hamm-Uentrop gewaltfrei zu demonstrieren.
Obwohl der THTR 1989 endgültig stillgelegt wurde, hat das Forschungszentrum Jülich (FZJ) in den 90er Jahren bis heute an dieser Technologie weitergeforscht und in Zusammenarbeit mit der Atomindustrie und mit dem staatlichen südafrikanischen Energieversorgungsunternehmen ESKOM den Bau des Pebble Bed Modular Reactors (PBMR) - einer Variante des THTR’s - vorbereitet.
Gegen den geplanten Bau des PBMR haben bis zum 25. August 2003 nicht nur viele Umweltschützer, sondern auch die Stadt Kapstadt Einsprüche eingelegt. Neu entdeckte Erdgasvorkommen in dieser Region haben die Handelskammer von Kapstadt dazu bewogen, ihre Option für Atomkraft zu überdenken. Trotzdem plant die südafrikanische Regierung weiterhin, den Baubeginn im 1. Quartal 2005 zu genehmigen und den Export dieses Reaktors hauptsächlich in 3. Welt-Länder zu forcieren.
In dieser Situation ist es wichtig, dass die Menschen in Südafrika erfahren, welche Gefahren von dem THTR ausgehen und welche Erfahrungen mit dieser Technologie in Deutschland gemacht wurden, damit ihnen in Zukunft Probleme und Störfälle wie in Hamm erspart bleiben.
Anmerkung
Wie es mit der Bearbeitung dieser Eingabe weiterging, ist im THTR-Rundbrief Nr. 89 nachzulesen:
http://www.reaktorpleite.de/nr-89-maerz-04.html
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