Aus: "FugE-News" N. 1, 2005
Widerstand gegen den THTR in Hamm und alte und Neue Soziale Bewegungen (Interview mit Horst Blume)
Horst, 19 Jahre ist es her, dass am 26. April 1986 der Tschernobyl-Reaktorblock explodierte. Was bedeutet dieser Jahrestag am 26. 4. für dich?
Oft wird vergessen, dass zeitgleich bei dem Störfall im THTR ebenfalls Radioaktivität entwichen ist und wir in Hamm bei diesem neuen Reaktortyp zu Versuchskaninchen der Atomindustrie gemacht wurden. Allerdings haben sich damals tausende von Menschen gewehrt, indem sie mehrmals die Zufahrtswege zum Reaktor blockierten und einige sogar den Kühlturm und das VEW-Verwaltungsgebäude besetzten. Zusammen mit technischen und finanziellen Problemen der Betreiber war es unser Widerstand, der zum Erfolg der Stillegung führte.
Du gehörst zu den Veteranen der Anti-Atomkraft-Bewegung in Hamm. Für die BI Umweltschutz verschickst du voraussichtlich im Juni 2005 den hundertsten THTR-Rundbrief. Was gibt dir den langen Atem, immer noch so engagiert dabei zu sein?
Es macht mir einfach Spaß, mit möglichst wenig Aufwand der herrschenden Politik möglichst viel Widerstand entgegenzusetzen.
1989 wurde der Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) Hamm-Uentrop stillgelegt. Aber die HTR-Forschung und Entwicklung erlebt eine neue Blüte. Findet auch in Deutschland der Wiedereinstieg in die Atomkraft statt?
Es hat auch unter rotgrünen Regierungen in NRW und im Bund keine Unterbrechung der Forschung an der HTR-Linie gegeben. Von daher kann nicht von Wiedereinstieg‚ sondern muss von einer bemerkenswerten Kontinuität gesprochen werden.
Seit 1998 wurden in NRW im Forschungszentrum Jülich über 30 umfangreiche Forschungsarbeiten und Experimente für die Weiterentwicklung des HTR´s durchgeführt, die allesamt auf hunderten von Seiten dokumentiert worden sind. Es wurden hier neue Patente angemeldet, nach Südafrika und China verkauft und das gesamte know how mit viel Engagement weitergegeben. Die Landes- und Bundesregierung nennt dies Export deutscher Sicherheitsstandards ins Ausland und begrüßt diese Aktivitäten ausdrücklich!
Du greifst auch gerne selbst zur Feder und mischst dich interessiert in lokale und überregionale Debatten ein. Welcher gemeinsame Nenner bestimmt dein Engagement?
Ich setze mich für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft ein und arbeite zur Erreichung dieses Ziels in verschiedenen Bürgerinitiativen mit. Oft schreibe ich in der Zeitschrift "Graswurzelrevolution", um meine Erfahrungen zu verarbeiten.
Was war das Erlebnis, dass dich am stärksten in deinem Engagement motiviert hat - was hat dich am meisten frustriert?
Am meisten motiviert haben mich die persönlichen Berichte von Aktivisten der sozialen Revolution in Spanien aus der Zeit von 1936 bis 1939. Hier wurden vom einfachen Volk nach der Abwendung eines faschistischen Putschversuches die bisherigen staatlichen Machthaber abgesetzt, die Unternehmer enteignet und trotz widriger Umstände ein nichtautoritärer Selbstverwaltungs-Sozialismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen praktisch verwirklicht.
Betrachtet man die geschichtliche Entwicklung, so ergeben sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder neue Möglichkeiten, in bestimmten Situationen an wichtigen emanzipatorischen Bewegungen teilzunehmen. Natürlich gehören zu unseren unbestreitbaren Erfolgen auch Niederlagen. Aus beidem können wir lernen.
Was ist deine Vision für die nächsten 10 Jahre?
Es wird aufgrund der Fortsetzung der neoliberalen Politik der jetzigen Regierungen zu großen sozialen Konflikten und möglicherweise sogar zu lokalen Aufständen kommen (**). Hochtemperatur-Reaktoren sollen als wichtiger Baustein der Renaissance der Atomkraft unter einer CDU-Regierung auch in Deutschland wieder gebaut werden. Da sind die Hammer Erfahrungen mit dem Schrottreaktkor unglaublich wichtig.
Darüber hinaus werden viele Menschen hoffentlich bald erkennen, dass es falsch war, all ihre Hoffnungen und Wünsche in die Hände von Parteien zu legen, anstatt selbst von unten auf aktiv zu werden und direkte Aktionen und Kampagnen durchzuführen. Die Herrschenden in diesem Land sehen nur ihre eigenen Interessen und werden durch gute Worte allein ganz gewiss nicht ihre Politik grundlegend ändern.
Anmerkung
** Aber sicher nicht in der Bundesrepublik Deutschland, würde ich zehn Jahre später sagen. Mit anderen Worten: In Zukunft will ich doch lieber mit gewagten Prognosen etwas vorsichtiger sein ...
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