Aus: "Distel. Das Hammer Stadtblatt", Nr. 2, 1984
"Schwarzenberg" von Stefan Heym (Buchbesprechung)
Von beiden Seiten hat man dem Buch den Umständen entsprechend das schlimmstmögliche angetan: In der DDR wurde es verboten, in der BRD im Bertelsmannkonzern herausgegeben. Die deutschen Machthaber hatten seit jeher einen ausgeprägten Hang zum Zynismus.
Das freiheitliche und sozialistische Utopia "Schwarzenberg" wird hier entweder von einer realsozialistischen Bürokratenklique undenkbar und folgerichtig auch unlesbar gemacht oder aber es wird in der BRD von den Herrschenden als Nachweis existierender "Meinungsvielfalt" ausgegeben und gerät auf diese Weise zur Legitimation privatkapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse.
Stefan Heym‚ der Autor dieses Buches, floh 1933 vor den Nazis in die USA, um dann auf dem Höhepunkt der dortigen Kommunistenhetze wieder in die DDR zurückzukehren. Sein Ort Schwarzenberg erhält in dem Roman im Jahr 1945 nach dem Sieg über den Faschismus (oder nach dem "Zusammenbruch", je nachdem von welcher Warte aus man die Ereignisse sieht) die einzigartige Chance, selbstbestimmt die politischen Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen.
Russen und Amerikaner "vergessen" für mehrere Wochen, den kleinen sächsischen Landkreis Schwarzenberg zu besetzen. In dem Niemandsland finden sich die unter der Naziherrschaft unterdrückten Mitglieder der Arbeiterbewegung in einem Aktionsausschuß zusammen und beginnen, in mühsamer Kleinarbeit das vom Krieg hinterlassene Chaos zu ordnen.
Auf der ersten konstituierdenden Sitzung des Aktionsausschusses in einem Arbeiterheim werden schmerzhafte Erinnerungen an die Zeit wach‚ in der bis vor wenigen Tagen noch die SA ihr Unwesen trieb. Die unliebsamen Vertreter der zu Ende geglaubten Epoche tauchen immer wieder auf, denn sie haben sich nicht in Luft aufgelöst. Mal als Beamtenseele‚ die sich eilfertig den Nazis angeschlossen hat und sich heute mit der neuen "Macht" des Aktionsausschusses arrangieren will. Oder aber in der Gestalt des selbsternannten Hauptmanns Stülpnagel, der mit einem zusammengewürfelten Haufen ehemaliger Armeeangehöriger die Gegend unsicher macht und Schwarzenberg vor dem Bolschewismus retten will.
Der Aktionsausschuß‚ der die unerwartete Selbständigkeit Schwarzenbergs bewahren soll, ist sich nicht so einig, wie es zunächst den Anschein hat. Die aus unterschiedlichen Motiven heraus gespeisten Kontaktaufnahmen zweier Mitglieder mit den beiden benachbarten Siegermächten bleiben ohne Ergebnis - vorerst noch. Der eine ist Wolfram. Obwohl er durch die zahllosen organisatorischen Aufgaben stark in Anspruch genommen wird, ist er andauernd von der bangen Hoffnung beseelt daß sein Schwarzenberg selbständig bleibt und sozialistisch wird.
Anders ist Reinsipe. Sein Verhalten wird von Stefan Heym eher vage und nur andeutungsweise beschrieben. Im Verlauf der Ereignisse wird klar, daß er gute Beziehungen zu den sowjetischen Nachbarn hat und Wolframs Träume mit einem mitleidigen Lächeln quittiert.
Wolfram hingegen macht sich in einer stillen Stunde Gedanken über die zukünftige Verfassung und den politischen Aufbau von Schwarzenberg. Der "Utopist" Wolfram hat es durch seine in dem Buch dargestellten eigenständigen Gedanken immerhin geschafft, dass die Zensurbehörde der DDR zu der Überzeugung gelangte, daß die folgenden Zeilen kein DDR-Bürger zu Gesicht bekommen sollte: "Und wenn es stimmte, daß der Staat, der sozialistische natürlich, eines nicht allzu fernen Tages absterben würde, dann war es überhaupt praktischer, man schuf gar nicht erst Organe, denen das Absterben schwerfallen könnte." - Welche Wirkungen Utopien haben können, wird von DDR-Zensoren wohl besser begriffen als von manchem Linken!
Nun ist der Roman "Schwarzenberg" trotz seines politischen Hintergrundes weit davon entfernt, eine Agitationsschrift zu sein. Vielmehr läßt Heym Gefühlsregungen in den kleineren aber nicht minder wichtigen Dingen des Lebens sprechen. Ungeklärte dramatische Schicksale und dramatische Verwicklungen bestimmen die Handlungsabläufe. Sie finden ihre Entsprechung in dem vorläufig ungewissen Ausgang des Experiments "Schwarzenberg". Erst durch die Einordnung von Andeutungen und Assoziationen gelingt es dem Leser, langsam zum eigentlichen Kern der Handlung vorzudringen.
Auf die Anreicherung seiner kleinen Republik mit Bodenständigem und Dialekt hat Heym glücklicherweise verzichtet, was ihm "Die Zeit" (23. 3. 1984) anscheinend übelgenommen hat. - Daß sich Menschen aus freiem Willen heraus, ohne eines nationalen oder landsmannschaftlichen Bezugspunktes ihr Utopia geschaffen haben, das konnte sich der Schreiber der großbürgerlichen, liberalen Zeit nicht vorstellen. Stattdessen hätte er Schwarzenberg offensichtlich lieber ausgestattet gesehen mit: Nationaldichter, Nationalgetränk‚ Nationalcharakter (merkt der geneigte Leser, wohin die Reise geht?), Nationalhymne, Nationalhelden! Das sind also die Wünsche des politischen Liberalismus in Deutschland. Kein Wunder, daß so ein zahnloser Liberalismus keine wirklichen Freiheiten erkämpft hat‚ sondern sich in der deutschen Geschichte immer mit den gönnerhaften Zugeständnissen der Konservativen zufriedengegeben hat.
Und Schwarzenberg? Natürlich maschiert irgendwann eine Siegermacht ein und der Traum ist ausgeträumt. Aber es war kein schlechter Traum und er wird nie ganz vergessen werden. "Schwarzenberg" kostet 34 DM,also fast dreimal soviel wie der Traumverschenkkitsch (aus dem Lucy Körner Verlag), welcher gleich kiloweise über den alternativen Ladentisch geht und mit dem sich allzuviele zu einem Stückchen Seelenfrieden verhelfen - wohl ahnend‚ daß es hier so schnell (und bei solcherlei geistigem Rüstzeug) kein "Schwarzenberg" geben wird.
Stefan Heym: "Schwarzenberg"‚ Roman, Bertelsmann Verlag‚ München, 1983, 310 Seiten 34 DM
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