Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 371, September 2012
Parteileiche hofft auf frisches Bewegungsblut
Kommentar zur aktuellen Politik der Partei "Die Linke"
Die diesjährigen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW bescherten der Linkspartei mit 2,3 und 2,5 Prozent einen bisher beispiellosen Absturz in der WählerInnengunst und den Verlust aller dortigen Landtagsmandate. Besonders schwer wiegt diese Niederlage im ehemaligen industriellen Kernland NRW. Hier erhielt diese Partei nur noch so wenig Stimmen, wie ihre beiden Vorläufer PDS und WASG im Jahr 2005 zusammen.
Das demonstrativ zur Schau gestellte Selbstverständnis einer an solidarischen Werten orientierten Partei wurde durch selbstsüchtige Streitereien des Führungspersonals so offensichtlich konterkariert, dass es dem Wahlvolk nicht mehr als lebendige Debattenkultur verkauft werden konnte.
Wenn ein eitler Möchtegern-Napoleon gar die Aufstellung eines Gegenkandidaten für den Parteivorsitz unterbinden will, dann bekommt eine Diskussion mit dieser Partei über basisdemokratische Ansätze eine ganz eigene, surreale Note.
Der (inzwischen ehemalige) Chefredakteur der Tageszeitung "Neues Deutschland" (ND), Jürgen Reents, flehte die Delegierten des Parteitages auf der Titelseite mit der Schlagzeile geradezu an, mit dem feindseligen Machtgeschacher aufzuhören: "Ihr seid nicht nur für Euch da!" (1)
Altbackene Propagandaslogans im NRW-Wahlkampf wie "Preise runter, Löhne rauf" erinnern an längst vergangene DKP-Zeiten und bescheren fast schon wieder ähnliche Ergebnisse wie damals. Wie die Probleme eines prekären Lebens und von Hartz IV praktisch von den Betroffenen durch Aktionen und zivilen Ungehorsam angegangen werden könnten, dazu lebt die übergroße Zahl der Mitglieder der Linkspartei nichts vor. Sie hat sich von ihrer ursprünglichen Klientel deutlich entfremdet. Dieses Feld beackert jetzt die "fürsorgliche" SPD mit Landesmutti Kraft.
Wie reagiert die Partei auf solch alarmierende Entwicklungen? – Ausgerechnet mit einem hochgehaltenen Schild des letzten Aufgebots "Ich werde Genosse" auf der Titelseite des neuen Hochglanz-Mitgliedermagazins "die linke!". Mit einem von einer Werbeagentur produzierten gefälligen Erbauungsblatt mit Kochrezepten für rote Tomatensuppe!
Eine Partei zum abgewöhnen!
Arno Klönne hat in der pazifistischen Zweiwochenschrift Ossietzky in einem Artikel mit der bezeichnenden Überschrift "Eine Partei zum abgewöhnen" geschrieben: "Sie wird sich, wenn sie Bedeutung gewinnen will, von unten her neu erfinden müssen. Das ist dringend zu wünschen." (2)
Auch "Bewegungsunternehmer" Peter Grottian versucht trotz aller Kritik an dieser Partei in einem offenen Brief an die neuen Vorsitzenden Kipping und Riexinger dieser geradezu libertäre Inhalte unterzujubeln, um sie damit völlig umzupolen: "Alex Demirovic, der uns nahestehende unermüdliche sozialwissenschaftliche Analytiker hat auf einem Rosa-Luxemburg-Symposium eine vorzügliche, aber für uns alle unbequeme Perspektive für die Linke entworfen: Relativierung der Staatsfixierung und der Beteiligung an der repräsentativen Demokratie - und hin zu einer Partei der Bürgermacht von unten. Damit wären erhebliche Konsequenzen verbunden, die man der Partei in ihrem derzeitigen Zustand schwer zutrauen mag." (3) - In der Tat!
Erst jetzt, wo die Partei am Boden liegt, werden auf etwas breiterer Basis von beunruhigten Funktionären und ihr Nahestehenden neue Kooperationsformen von Partei und Bewegungen als Rettungsanker diskutiert. Erst jetzt sollen schnell neue Politikformen praktisch ausprobiert werden.
Das ist sehr parteiegoistisch gedacht, um den eigenen Verein womöglich auf Kosten Anderer zu retten. Und natürlich illusorisch, wenn man sich die Zusammensetzung der Mitgliedschaft etwas genauer ansieht. Ein echter Neuanfang mit einem Personenkreis, der die letzten 30 bis 40 Jahre durch das wenig emanzipatorische Politikverständnis von Parteien (SPD, SED, PDS, DKP), sektiererischer Zirkel oder DGB-Gewerkschaften geprägt wurde und dieses in der neuen Partei weiterhin praktiziert, ist ziemlich unwahrscheinlich. Diese zahllosen Multifunktionäre, die mit der vielen Arbeit in Ratsfraktionen, Bezirksvertretungen, Ausschüssen und in den Parteigremien ohnehin schon überfordert sind, sollen jetzt eine völlig neue aktionsorientierte Bewegungspartei kreieren?
Das parteinahe ND versucht bereits seit Jahren dem bieder-drögen Politikstil der Partei durch eine bemerkenswert vielseitige Berichterstattung langsam zu verändern. In ihrer Mittwochsausgabe bietet sie Bewegungen auf ihrer APO-Seite ein Forum an. Freitags werden unter Betrieb & Gewerkschaft sogar AnarchosyndikalistInnen und militante Fabrikbesetzungen nicht verschwiegen.
Das Feuilleton bespricht Bücher aus dem Verlag Graswurzelrevolution freundlich-ausführlich. Jede Wochenendausgabe malträtiert den erstarrten Parteiapparat auf zwei ganzen Seiten mit der Präsentation von geglückten Anarcho-Experimenten aus der ganzen Welt.
Bei den ausführlichen Berichten über Anti-Atom-Aktionen lockt fröhlich das GWR-Eichhörnchen über den Baumkronen mit "Hallo, ihr könnt ruhig mitmachen!" Und zu guter Letzt gibt es dienstags auf der Seite "Gesund leben" Artikel über die Vorteile der fleischarmen Vollwertkost. An mundgerecht präsentierten alternativen Vorschlägen aus dem eigenen Blatt herrscht also kein Mangel.
Doch nach Vollzug der abendlichen Sitzungsrituale futtern die hungrigen Parteimitglieder völlig unbeirrt in den aufgesuchten Gasthäusern die Schnitzelparade oder die Döner-Speisekarte rauf und runter und sagen: "Unser ehemaliges Zentralorgan hat uns gar nichts mehr vorzuschreiben!" Und weiter geht’s im alten Trott.
Muss man über den Absturz einer Partei mit solch lernunwilligen und erfahrungsresistenten Mitgliedern traurig sein?
In ihren internen Diskussionen ist immer wieder betont worden, dass die bisher „vernachlässigten“ Strukturen der Partei verstärkt werden sollen. Gleichzeitig versuchen sie, von den Erfolgen der Basisbewegungen zu profitieren. Sie wollen Parteiaufbau, wir AnarchistInnen aus guten Gründen Parteiabbau. Als MitarbeiterInnen in Bürger- und Basisinitiativen haben wir seit Jahrzehnten die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, wenn Initiativen eine deutliche Distanz zu Parteien aufrecht erhalten. Nur hierdurch können möglichst viele bisher Abseits stehende über alle Partei- und Milieugrenzen hinweg motiviert werden, sich für ein bestimmtes Anliegen einzusetzen. Sobald ein Auftrag an eine Partei delegiert wird, geht’s mit der Bewegung und der Durchsetzung der Inhalte bergab.
Die Bundestagswahl 2013 wirft schon jetzt ihre Schatten voraus
In dramatischen Appellen wird diese Partei im Vorfeld den Untergang des linken Abendlandes heraufbeschwören, falls sie scheitert. Und verstärkt Unterstützung von den Bewegungen einfordern. Wir sollten sie nicht gewähren.
Von allem, was uns wichtig ist, geht nichts unter, was nicht schon längst bei dieser Partei den Bach runtergegangen ist. Wir sollten allerdings nicht wie begossene Pudel widerspruchslos das kommende Wahlkampftheater über uns ergehen lassen, sondern unsere Parteien- und Parlamentarismuskritik, unsere Erfahrungen und die Darstellung unserer Teilerfolge bei außerparlamentarischen Aktionen frühzeitig und offensiv in hoher Auflage als GWR-Extrablatt in den öffentlichen Raum einbringen. Und damit ausnahmsweise einmal direkt für uns selbst werben.
Anmerkungen:
1. ND vom 2.6.2012
2. Ossietzky 11/2012
3. ND vom 4.8.2012
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