Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 302, Oktober 2005
Sozialforum in Erfurt: Linkes Ruckeln
Es war auch ein Auftrieb notorischer MenschheitsbeglückerInnen inclusive der VertreterInnen der 3., 4. und 5. Internationale, ergänzt durch aufrechte KämpferInnen gegen die Zinsknechtschaft und diverse christliche Missionare. Das nur in geringer Zahl anwesende Fußvolk nutzte die Gelegenheit nur sehr zurückhaltend, einen Schnellkurs in Sektenkunde zu absolvieren und nahm mit freundlicher Gleichgültigkeit die zahllosen verteilten Blättchen in Empfang: Man müßte, man sollte, man könnte.... Wenn das nur so einfach wär.
Während draußen vor den beiden großen Zelten die angereisten VegetarierInnen mit dampfenden Thüringer Rostbratwürstchen und einem aufgespießtem Ferkel gequält wurden, bekam mensch im Innern leckere vegetarisch-orientalische Gerichte von freundlich strahlenden Iranerinnen überreicht. Daneben gabs anarchistische Literatur vom Trotzdem Verlag, X-tausendmal quer und natürlich den Graswurzel-Stand mit der Parlamentarismuskritik-Ausgabe als Sonderangebot. Letzteres war nicht unwichtig, denn wie der reichlich tropfende Nieselregen durchtränkte die Debatte über die neu entstandene Linkspartei die Veranstaltung: "Welche Chancen könnten sich durch sie eröffnen? Welche Forderungen stellen wir an sie? Oder ist die Linkspartei in Wirklichkeit rechts?"
Dies sind Fragen, die ein selbstbewußtes Sozialforum, das seine selbstgestellten Aufgaben ernst nehmen würde, zunächst erstmal nicht für sonderlich drängend halten würde. Denn schließlich hieß das Motto nicht "Eine andere Partei ist möglich!"
Im Herbst letzten Jahres habe ich in etwa 25 Städten Sozialforen gezählt. Nur sehr Wenige sind zwischenzeitlich hinzugekommen. In der BRD ist, im Gegensatz zu anderen Ländern, der Funke nicht übergesprungen. Es gibt keine breite, lebendige Bewegung, die das Sozialforum hätte tragen und entwickeln können.
Stattdessen eilten nicht ganz uneigennützig diverse Kleinparteien und –gruppen zur "Hilfe", um einmal groß herauszukommen. Größere Organisationen wie attac oder ver.di schickten wohlwollende Aktivisten und Hauptamliche zur Unterstützung, aber von einer breiten Beteiligung von dieser Seite her konnte bei den paar hundert TeilnehmerInnen nicht im entferntesten die Rede sein. Das, was bisher nicht vorhanden war, konnte das Sozialforum nicht herbeizaubern. Insofern ist es Ausdruck der allgemeinen Lage.
Sicherlich gab es während der zahlreichen kleineren Veranstaltungen und Arbeitsgruppen einen regen Meinungsaustausch und es kamen einige interessante Kontakte zustande. Aber im Zeitalter des Internets sind vielfältige Informationsmöglichkeiten nicht mehr das Hauptproblem. Wir brauchen keinen Markt der Möglichkeiten, sondern es hapert vielmehr an der Entwicklung von Strategien, wie sich eine heterogene Basisbewegung auf eine gemeinsame Vorgehensweise und einige gemeinsame Ziele verständigen könnte.
Schon während der Vorbereitungszeit war unklar, welche zugespitzten Fragestellungen vorrangig diskutiert und welche unterschiedlichen Handlungsoptionen für eine Bündelung der letztendlich doch begrenzten Kräfte zur Debatte gestellt werden sollten.
Vielleicht wäre etwas mehr Bescheidenheit der Situation angemessener gewesen. Die "neue Zeitrechnung" seit Seattle und Genua, von der in der gemeinsamen Sozialforum-Schwerpunktausgabe von Neues Deutschland, TAZ und Junge Welt großmäulig fabuliert wurde, gilt jedenfalls nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Eine schlichte, breit angelegte Vorbereitungsveranstaltung für die spätere Gründung eines Sozialforums in der BRD hätte ein realistischerer Anfang sein können.
Als Resultat kam bei der Abschlusserklärung nur ein altbekanntes Sammelsurium von Forderungen heraus, garniert mit abgedroschenen Appellen, demnächst diese oder jene Aktionstage durchzuführen. Dabei ist klar: Solche Appelle nützen meist nichts. Die Bewegung ist nicht programmierbar. Deswegen plätscherten die Monate nach dem Sozialforum genauso konturlos vor sich hin, wie unmittelbar vorher.
Auch ein grollender Professor Grottian auf einer Podiumsdiskussion konnte die mitunter recht zaghaften und wenig begeisterungsfähig wirkenden Anwesenden wirklich motivieren, als er mit agitatorischem Unterton mehr zivilen Ungehorsam einforderte und ausrief: "Wir sind viel zu harmlos!" Das kam nicht bei allen Anwesenden gut an, stellte er doch echte Anforderungen an das eigene persönliche Verhalten. Da konsumierten die 700 TeilnehmerInnen im Hauptzelt doch lieber zur besten Fernsehzeit am Samstagabend um 20 Uhr den Film "Neue Wut". Es fehlte nur noch das Sofa, die Chipstüte, ne Pulle Bier....
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