Aus: "Schwarzer Faden", Nr. 3, 1981

Alemantschen – Materialien für radikale Ökologie

Ökologischer Landbau, Bookchin und die Wirtschaftsschrumpfung

Beim Symposium "Biologischer Landbau" in Kassel habe ich mir die eigenwilligen Werbezettel an der Wand neugierig angesehen und mich sofort – vielleicht etwas voreilig - gefragt, wer denn da mal wieder im Namen der Ökologie neunmalkluge superradikale Theorien verkaufen will. Und nun liegt die erste Ausgabe vor mir und ich staune.

Aus: Alemantschen, Band 1Optisch sieht diese Zeitschrift wie ein gut aufgemachtes Lesebuch aus. Schöne Bilder, Gedichte und Einteilung in folgende Kapitel:

- Gespräche über Amerika

- Die Liebe zum Land (Mit einem Beitrag von Murray Bookchin)

- Der Schrecken der Situation

- Wirtschaftsschrumpfung

Die Materialien befassen sich schwerpunktmäßig mit dem Landbau und den damit verbundenen alten, übersichtlich gegliederten und ökologisch ausgerichteten Gemeinschaften‚ deren Vorzüge eindrucksvoll geschildert werden. Es sind jene Arten von Schilderungen, die auch in der anarchistischen Literatur vorzufinden sind und die offensichtlich bis heute leider nur recht wenige vorzeigbare Resultate hervorgebracht haben. Oder sind aus solchen Überlegungen schon mal lebensfähige wirtschaftliche Einheiten entstanden, die Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben könnten? Solche Gemeinschaften entstehen heute oft außerhalb eines spezifisch anarchistischen Spektrums.

Warum? – Wahrscheinlich klafft zwischen den von Murray Bookchin aufgewärmten Ideen eines vor 150 Jahren lebenden Fouriers und der heutigen Realität eines Landwirtes, der seine Landwirtschaft industriemäßig betreibt, eine zu große Lücke. Boockchin glaubt, die technische Seite vernachlässigen zu können: "All diese Fragen auf eine der richtigen Technik zu reduzieren, wäre gegenüber der Herangehensweise, die heutzutage im Landbau üblich ist, eine unzureichende Verbesserung. Der technische Kenner einer organischen Landbaumethode ist nicht besser als der Praktiker der chemischen Methode" (S. 47).

Aus: Alemantschen, Band 1Da Bookchin die Erfolgsmöglichkeiten seiner Vorschläge gesamtgesellschaftlich gering einschätzt, muß er sich besondere Gegenden aussuchen, wo er jene günstigen Voraussetzungen für kleine, selbstversorgende und -verwaltende Einheiten noch vorzufinden glaubt: "Aber in Neu England, wo es die ersten amerikanischen Städte gab, wo die ersten freien Gemeinden vor 400 Jahren gegründet worden sind, und wo seit mehr als 300 Jahren eine Tradition kommunaler Unabhängigkeit und gegenseitiger Hilfe existiert, ... da gibt es eine Chance, solche Ideen weitaus wirksamer mitzuteilen, ihnen weitaus mehr Bedeutung beizumessen, als irgendwo sonst" (S. 20 ).

Hier beginnt Bookchin, vor gesamtgesellschaftlichen Problemlösungen wegzulaufen. In dem Beitrag "Kälber, Milch und Politik" von Werner Wüthrich und Derendinger wird präzise beschrieben, wie Schritt für Schritt beginnend durch Arbeit an einer besseren, zunächst technischen Lösung eines Problems sich der Horizont der Handelnden allmählich weitet und der von ihm geforderten ganzheitlichen Sicht näherkommt! Meiner Meinung nach findet die Hauptauseinendersetzung mit Landwirten über Fragen einer Veränderung der Anbau- und Lebensweise in erster Linie auf der Ebene statt, wie das denn technisch überhaupt gehen soll. Da helfen keine Hinweise auf irgendwelche Indianer, die zigtausend Kilometer weit wegwohnen. Oder auf einige Bafög-subventionierte "Landkommunen".

Ist es nicht eine Geringschätzung der Probleme betroffener Landwirte, wenn hier (scheinbar) radikale Forderungen wie Loslösung von dem Ökonomiedenken gestellt werden und wir noch nicht einmal in der Lage sind, unter den gegebenen Bedingungen akzeptable praktische Vorschläge machen können?

Aus dieser Frage ergibt sich, daß wir es bisher versäumt haben, unserem "Endziel" bestimmte geistig-vermittelnde und technisch-organisatorisch sowieso notwendige Zwischenstufen vorzuschalten. Es hat keinen Sinn, jemandem die Vision von kleinen, selbstgenügsamen Einheiten schmackhaft machen zu wollen, wenn er noch nicht einmal davon überzeugt ist, daß der organische Landbau eine sinnvolle Alternative zum Konventionellen ist.

Es gibt eine ganze Reihe von Organisationen des biologischen Landbaus, die teilweise seit Jahrzehnten bestehen. Hier wurden bis in die heutige Zeit hinein Erfahrungen gemacht, die von der Linken bisher nicht aufgearbeitet worden sind. Und dabei haben diese Organisationen - trotz teilweise begrenzter gesellschaftlicher Zielsetzungen - politische Erfahrungen gemacht, an die wir durchaus anknüpfen können.

In dem Kapitel "Der Schrecken der Situation" wird in den Beiträgen auf die Gefahren des Wettrüstens und der CO2-Freisetzung im Einzelnen eingegangen. Ich finde es sehr wichtig, daß solche bedrohlichen Zustände ausführlich dargestellt werden und nicht von Problemen der Selbstfindung und der Theorie vollständig verdrängt werden.

Wirtschaftsschrumpfung ist notwendig

Aus: Alemantschen, Band 1Doch ich komme jetzt zu dem letzten – meiner Meinung nach wichtigsten - Beitrag von "Alemantschen": "Das Konzept der Wirtschaftsschrumpfung" von Carlo Jaeger. Es ist für mich das erste Mal, daß ich aus freiheitlicher Sicht eine Studie zu Gesicht bekomme, die mit heute bestehenden volkswirtschaftlichen Instrumentarien (Banken, Versicherungen, Steuern, Subventionen, usw.) umzugehen weiß und nicht auf eine platte Art und Weise proklamiert, das Geld sei abzuschaffen oder ähnliches.

Jaeger geht davon aus, daß ein weiteres Wirtschaftswachstum auf jeden Fall ökologisch katastrophal verlaufen wird. Darum stellt sich für ihn die Frage: Wo hat die ökonomische Maschine ihren Rückwärtsgang? Er unterstreicht die Bedeutung des heute vielfach unterschätzten Bereichs der Dienstleistungen innerhalb einer Volkswirtschaft und fordert seine Umgestaltung in einen verantwortlichen Umgang mit der Erde.

Die Arbeitslosigkeit im Dienstleistungsbereich eröffnet uns die Möglichkeit, Strukturen kollektiver Selbstversorgung aufzubauen: "Verantwortlich mit Staatsausgaben umzugehen heißt‚ mit ihnen diesen Übergang zu finanzieren. Auf der anderen Seite führt der Versuch, Selbstverwaltungsstrukturen ohne eine Umleitung der Staatsausgaben zu entwickeln, bestenfalls zu Reservaten ähnlich denjenigen der Indianer in den USA. Der Rückwärtsgang der ökonomischen Maschine wird eingelegt, indem die Staatsausgaben zur Finanzierung des Übergangs zu kollektiver Selbstversorgung eingesetzt werden. Konkret heißt das, daß die Arbeitslosen aus dem Dienstleistungssektor die finanziellen Möglichkeiten erhalten, nicht in den Arbeisprozess zurückzukehren, sondern ihre jeweiligen Fähigkeiten in den Aufbau von Selbsversorgungsstrukturen einzubringen" (S. 133).

Jaeger betont allerdings, daß Staatsgelder punktuell schon bald entbehrlich werden können und das kollektive Selbstversorgung im Prozeß der Wirtschaftsschrumpfung in erster Linie als sozialer Lernprozeß stattfindet.

Alemantschen, Band 1Trotzdem ist die Entwicklung neuer Kenntnisse und Instrumente notwendig, z. B. das Konzept der negagativen Einkommenssteuer. "Die bisherigen Erfahrungen mit solchen Ansätzen zeigen nun, daß bei einem Mindesteinkommen, das ein Überleben finanziell absichert, keineswegs einfach jedermann den Hamner fallen läßt und die soziale Produktion nicht katastrophisch zusammenbricht. ... Das Anlegen eines Gartens ist dann kein Hobby mehr, sondern in der Entwicklung kollektiver Selbstversorgung ein Schritt auf dem Weg, die Gesellschaft aus dem Korsett der Wirtschaft zu lösen" (S. 136).

Jaeger belegt an vielen Stellen seiner Untersuchung - und das verbindet ihn mit den anderen Autoren dieses Heftes - daß zwingende Gründe dafür sprechen, sich von der städtischen Lebensweise zu lösen: "Dabei geht es zum Teil um Tatbestände von solcher Einfachheit‚ daß sie dauernd übersehen werden. Darum, daß seit kaum zwei Generationen das erste Mal in der Geschichte der Gattung die Mehrheit der Gesellschaft nicht mit Pflanzen und Tieren wohnt und die Oberfläche der Erde vorwiegend als Beton und Asphalt erfährt"(S. 137).

Für den von ihm favorisierten Bereich schlägt er vor, daß unter Berücksichtigung der fast vollständigen staatlichen Subventionierung der Landwirtschaft diese Gelder nicht mehr als Mengensubventionen und Verwaltungsausgaben auszuschütten seien, sondern umzuwandeln wären in ein garantiertes Einkommen (= negative Einkommenssteuer).

Indem er auf die aktuelle Energiediskussion um den harten Weg (mit Atomenergie und Wirtschaftswachstum) und den weichen des Ökoinstituts (mit alternativen Energiequellen und 0-Wachstum) eingeht und in seinen Schlußfolgerungen verarbeitet‚ hat Jaeger es geschafft, eine in sich schlüssige und verwertbare Anregung zustande zu bringen.

Aus: Alemantschen, Band 1In seiner Schlußbemerkung zeigt er noch einmal, daß wir es uns bei unseren bisherigen Gesellschaftsentwürfen viel zu einfach gemacht haben. Deswegen sollten wir uns seine Worte dick hinter die Ohren schreiben: "Gesellschaftliche Aufgaben werden nicht aus einem Set von Alternativen gewählt wie die Waren in einem Supermarkt; sie verdichten sich in einem historischen Prozeß. Was heute an Szenarien über Auswege aus der Energiekrise vorliegt, ist Moment dieses Prozesses und nicht ein Quizrätsel mit der Aufforderung: Zutreffendes bitte ankreuzen" (S. 142)!

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Es ist an anderer Stelle schon einmal darauf hingewiesen worden, daß es etliche Organisationen gibt‚ die sich mit Ökologie und Landbau beschäftigen. Damit steht uns eine große Variationsbreite von unterschiedlichen Ansichten und Sichtweisen zur Verfügung. Wir stehen also keineswegs vor einen Nullpunkt, sondern es stellt sich wohl eher die Frage ‚ was von dem Vorhandenen wir nutzen können und was nicht. Die nachfolgende kleine Aufstellung soll dazu verhelfen, den Zugang hierzu zu erleichtern. Die unter I. genannten Zeitschriften haben ein recht ausgeprägtes Interesse an politischen Themen, während die unter II. genannten eher an fachlichen Fragen des Landbaus interessiert sind. Nichts destoweniger sind beide Gruppen notwendig und aufschlussreich.

l.

"BAUERNBLATT" vom Arbeitskreis Junger Landwirte. Wichtiges Forum für die Opposition zum Bauernverband. Erscheint alle 2 Monate.

"ÖKO-JOURNAL". Ökologie, Alternative, Kreativität, Mumm. Erscheint alle 2 Monate in der Schweiz.

"ALEMANTSCHEN". Erscheint 2 mal im Jahr in Maintal und wurde oben besprochen.

II.

"GARTEN ORGANISCH". Zeitschrift für naturgemäßes Gärtnern, praktische Ökologie und Erzeuger-Verbraucher-Kommunikation

"BODEN UND GESUNDHEIT". Nachrichtenblatt für angewandte Ökologie.

"IFOAM". Internationale Vereinigung biologischer Landbaubeawegungen. Wissenschaftliche Beraturn. Erscheint vierteljährlich.

"LEBENDIGE ERDE". Herausgegeben vom "Forschungszentrum für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise". Erscheint alle 2 Monate.

Anmerkung

Von Murray Bookchin habe ich in "Der Grüne Hammer" Nr. 8 (1979) das Buch "Formen der Freiheit" besprochen:

http://www.machtvonunten.de/atomkraft-und-oekologie.html?view=article&id=240:bookchin-oekologie-technik-und-herrschaft&catid=20:atomkraft-und-oekologie

Eine weitere Besprechung von "Alemantschen" (Band 2) erfolgte in "Schwarzer Faden" Nr. 8 (1982):

http://www.machtvonunten.de/medienkritik.html?view=article&id=163:alemantschen-band-2&catid=17:medienkritik

 

 

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