Aus: "Schwarzer Faden", Nr. 15, 3/1984
Die Stimmung in der Landwirtschaft
Eine Nachbetrachtung zur Europawahl
Wohl am genervtesten auf die Europawahl hat eine Bevölkerungsgruppe reagiert, der man sonst eher staatstragenden Opfersinn nachsagt - die Rede ist von den Bauern. Mehr als 20 Jahre vermurkster EG-Landwirtschaftspolitik und in ihrer Folge eine immer akuter werdende Existenzbedrohung waren notwendig, bis die Bauern zumindest teilweise der CDU die Gefolgschaft versagten oder gar der Europawahl fernblieben. Der von den Medien so verblüfft zur Kenntnis genommene Zuwachs der GRÜNEN war nur möglich, weil so wenige wählen gingen und damit automatisch die kleineren Parteien begünstigt wurden.
Gerade in ländlichen Gebieten hatte die CDU große Schwierigkeiten, ihre bäuerlichen Wähler bei der Stange zu halten. Auf den Wahlveranstaltungen artikulierte sich heftiger Unmut. Die Landjugend in Baden-Württemberg rief sogar zum Wahlboykott auf. Die gleiche Protestform wurde auf einer ganzen Reihe von bundesweiten Veranstaltungen diskutiert und propagiert, z.B. von 600 Bäuerinnen und Bauern auf einer Versammlung der Milcherzeugergemeinschaft Welzheim (Baden-Württemberg). Der Bauernverband selber machte sich den Wahlboykottaufruf natürlich nicht zu eigen - zu viele seiner Funktionäre sind mit der CDU verfilzt. Das Bayrische Landwirtschaftliche Wochenblatt lehnte den Abdruck einer zum Wahlboykott aufrufenden Anzeige der "Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft" (Nordschwaben) ab, sodaß sie in einer Tageszeitung veröffentlicht werden mußte.
Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, daß ein bewußt gewollter Wahlboykott bei dieser Europawahl schon bedeutet, daß die Mehrheit der Boykottierenden jetzt plötzlich mit dem tradierten Politikverständnis gebrochen hat und andere, direktere Vertretungsformen will. Vielmehr ist durch die offen bauernfeindliche Politik der CDU bei zahlreichen Bauern der Eindruck entstanden, hierdurch ihre parteipolitische Lobby verloren zu haben, ohne daß eine andere Partei in ausreichendem Maße in der Lage wäre, die nun freigewordene Funktion zu erfüllen. Die folgerichtige Konsequenz war der Wahlboykott. Durch ihn wurde allerdings mit der gängigen Norm der Wahlbeteiligung Öffentlich gebrochen und bewußt in Kauf genommen, von den etablierten Meinungsmachern als ungehorsam hingestellt zu werden. Ob sich nun für den ländlichen Raum eine weitergehende Perspektive eröffnen läßt, und das neu entstandene Nichtwähler-Protestpotential in der Lage ist auf breiter Ebene eigene organisatorische Strukturen zur Durchsetzung seiner Interessen zu entwickeln, wird die Zukunft zeigen müssen.
Die "Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft" hat in ihrer Zeitschrift "Bauernblatt" die Europawahl kontrovers diskutiert: Boykott und Protest (= Wahl der GRÜNEN) wurden dabei so gegeneinander gestellt, als würde allein nur die eine oder nur die andere Form des Widerstandes eine zufriedenstellende Lösung ergeben können. Dabei waren beide Vorstellungen recht schmalspurig angelegt und nur darauf bedacht, »Zeichen zu setzen«. Für die einen wird mit den GRÜNEN im Parlament die EG auch nicht besser, für die anderen würde eine niedrige Wahlbeteiligung den Bauernzorn nur uneffektiv verrauchen lassen.
Vor dem Hintergrund der neueren Entwicklung, daß die GRÜNEN die agrarpolitischen Vorstellungen vom "Bauernblatt" übernommen haben und diese in Hessen in konkrete Politik umsetzen, konzentrieren sich in letzter Zeit einige "Bauernblatt"-Mitglieder stark auf die GRÜNEN. Einer war sogar Spitzenkandidat für die Europawahl geworden. Sicherlich bedeutet die neu hinzugekommene "kleinbäuerliche Komponente" oberflächlich gesehen eine Bereicherung für die GRÜNEN und für die Kleinbauern zugleich. Wenn aber die "Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft" zum außerparlamentarischen Zuarbeiter für die parlamentarisch arbeitenden GRÜNEN wird, engt sie ihren Handlungsspielraum enorm ein und schließt Nichtgrüne mehr oder weniger aus.
Eine kleinbäuerlich-grüne Richtungsgewerkschaft würde sich für beide Seiten als Bumerang erweisen, da nur gut organisierte parteiunabhängige Basisinitiativen in der Lage sind, eine ausreichende Breite und Durchsetzungskraft zu entwickeln, um in dieser Gesellschaft tatsächlich etwas von unten auf zu bewegen.
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