Aus: "FUgE-News" Nr. 2, Dezember 2016

Klage gegen KiK in Bönen

"Kunde ist König" – und ArbeiterInnen bleiben Sklaven?

Am 11. September 2012 kamen bei einem Brand in einer Textilfabrik in Karachi (Pakistan) 260 Menschen ums Leben und 55 wurden verletzt. Im Juni 2016 waren drei VertreterInnen der Angehörigen auf von Medico International und FUgE organisierten Veranstaltungen in Lünen und Bönen zu Gast, um für eine angemessene Entschädigung der Opfer zu werben. In Bönen bei Hamm befindet sich der Firmensitz des Textildiscounters KiK (Kunde ist König), der mit mindestens 75 Prozent Hauptabnehmer der Firma Ali Enterprise ist, in der das Unglück vor fünf Jahren passierte.

Nach der beachtlichen medialen Aufmerksamkeit, die diese Veranstaltungen bewirkten, hat sich am 30. August 2016 das Landgericht Dortmund in dieser Angelegenheit für zuständig erklärt und gewährt sogar vier pakistanischen KlägerInnen Prozesskostenhilfe. – Erhält jetzt die Gerechtigkeit einen Kick?

ArbeiterInnen demonstrieren in Karachi gegen KiK. Foto: medico international

Die Hintergründe des Unglücks

In Bönen und Lünen berichteten Saeeda Khatoon und Abdul Aziz Khan über das Unglück. Beide haben ihre 18 bzw. 17 Jahre alten Söhne verloren, die bereits mehrere Jahre bei Ali Enterprise arbeiteten und mit ihren Löhnen zum Überleben der beiden Familien beitrugen. Am 11. September 2012 hörte Saeeda von dem Brand, eilte zur Fabrik und musste machtlos zusehen, wie ihr Sohn zusammen mit 259 anderen ArbeiterInnen in dem Gebäude verbrannte. Fluchtwege waren mit großen Warenmengen zugestellt und die Fenster vergittert. Es gab kein Entkommen. Tage später mussten die verkohlten Leichen ihrer Söhne identifiziert werden.

Der KiK-Zulieferer zahlte den Söhnen 70 Euro monatlich für zehn bis vierzehn Stunden Arbeit täglich. Das war auch für pakistanische Verhältnisse sehr wenig. Der Durchschnittslohn liegt bei etwa 100 Euro in diesem Land. Schriftliche Arbeitsverträge gibt es in diesen Textilfabriken in der Regel nicht, sondern lediglich mündliche Zusagen, die jederzeit zurückgezogen werden können und die prekäre Lage der ArbeiterInnen noch verstärken. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad beträgt gerade einmal fünf Prozent.Protestversammlung vor der ausgebrannten Fabrik in Karachi. Foto: medico international  

KiK berief sich in den nun folgenden Auseinandersetzungen auf ein Brandschutzzertifikat, dass drei Wochen vor der Katastrophe von dem italienischen Unternehmen RINA ausgestellt worden ist. Dieses privatwirtschaftliche Unternehmen verdient allerdings sein Geld mit dem Abstempeln freiwilliger, rechtlich unverbindlicher Selbstverpflichtungen der FabrikbesitzerInnen. Solche Zertifikate sind ein Feigenblatt.

KiK hat nach dem Unglück eine Soforthilfe von einer Million Euro gewährt, allerdings eine Haftung nach deutschem oder pakistanischen Recht zurückgewiesen. Diese Summe ist natürlich lächerlich. Es geht hier nicht nur um das große entstandene Leid durch den Tod von vielen Menschen. Hunderte von Familien haben ihre wichtigsten ErnährerInnen verloren, sind traumatisiert und wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll.

Als die zunächst inhaftierten FabrikbesitzerInnen wieder freigelassen worden sind und KiK die Entschädigungsverhandlungen verschleppte, gründeten Saeeda und Abdul die "Vereinigung der Überlebenden und Hinterbliebenen", in der sich die betroffenen Familien selbst organisiert haben. Unterstützt von der pakistanischen Gewerkschaft NTUF, von Medico international und den AnwältInnen des "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR) aus Berlin reichten sie 2015 stellvertretend für alle anderen Betroffenen beim für die KiK-Zentrale in Bönen zuständigen Dortmunder Landgericht Klage gegen den Discounter ein. Sie fordern eine Entschädigung von 30.000 Euro pro Person.

ArbeiterInnen demonstrieren in Karachi gegen KiK. Foto: medico international

Zusammen mit dem pakistanischen Gewerkschafter Nasir Mansoor nahmen Saeeda und Abdul nicht nur an zahllosen informellen Treffen mit vielen gesellschaftlichen Gruppen sowie Pressekonferenzen teil, sondern sie besuchten auch 300 SchülerInnen der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Lünen. Selbstbewusst und unmissverständlich machten sie deutlich, dass sie kein Mitleid oder vage Selbstverpflichtungen der großen Textilunternehmen wollen. Sie fordern hingegen rechtlich verbindliche Regelungen der Arbeitsbedingungen, der Löhne und der Sicherheit. Sie hinterließen einen nachhaltigen Eindruck bei den SchülerInnen.

Bei der Veranstaltung in Bönen, dem Haupsitz von KiK, war leider kein Einziger der dort arbeitenden 400 KiK-MitarbeiterInnen anwesend. Die drei Pakistanis reisten 7.000 Kilometer um den halben Erdball zu den ebenfalls stark unter Konzerndruck stehenden KiK-MitarbeiterInnen und niemand von ihnen konnte sich zu einer noch so bescheidenen solidarischen Geste entschliessen. – Was für ein Armutszeugnis! Dieses Verhalten zeigt überdeutlich, wie gering die internationale Solidarität im Bewusstsein der ArbeiterInnen in der BRD entwickelt ist.

Treffen der Baldia Factory Fire Association. Foto: ECCHR

Immerhin gibt es mit Medico international und der Juristenvereinigung ECCHR Organisationen, die den pakistanischen ArbeiterInnen bei dem komplizierten Prozess vor dem Dortmunder Landgericht helfen. Dies ist auch notwendig, da er nach pakistanischem Recht durchgeführt werden muss und hierfür zahlreiche Gesetzestexte und Verordnungen übersetzt und in der Rechtssprechung angewandt werden müssen.  

Gesetzliche Regelungen sind notwendig!

Bei diesen Auseinandersetzungen geht es den KlägerInnen nicht darum, dass sich die verantwortlichen Textilkonzerne mit freiwilligen Zahlungen aus der Verantwortung kaufen. Und hierbei die Opfer der Katastrophen zu Bittstellern degradiert werden und die Täter sich als  gütige Gönner darstellen können. Medico international betont: "Textilunternehmen wie KiK spekulieren darauf, dass die Unglücke schnell in Vergessenheit geraten und die Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter nicht die Kraft haben, sich gegen die Textilmultis zu wehren".

Es wird Zeit, dass die Textilunternehmen Verantwortung für die gesamte Lieferkette der Produkte übernehmen. Das deutsche Zivilrecht stammt noch aus dem 19. Jahrhundert und wird der heutigen Situation mit zahlreichen internationalen Verpflechtungen nicht gerecht. Deswegen muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen, Rechtsvorschriften erlassen und einkaufende Unternehmen zur Verantwortung und Sorgfalt für die vollständige  internationale Lieferkette verpflichten. Mehr Transparenz über die Bedingungen der Warenproduktion ist dringend geboten.

Kampagne #UNTRAGBAR. Foto: medico international

Die Konsumenten müssen aktiver werden!

Darüberhinaus tragen auch die VerbraucherInnen eine große Verantwortung. Wir sollten immer wieder in Bekleidungsgeschäften nach fair und ökologisch produzierten Waren fragen und von unserer Seite deutlich machen, dass es eine Nachfrage für diese Produkte gibt. FUgE hat bereits Gespräche mit einigen inhaberInnengeführten Geschäften in Hamm geführt. Ebenso wurden Lieferanten für fair produzierte T-Shirts ausfindig gemacht. Bedruckte Abi-T-Shirts für Jugendliche und möglicherweise für Kultur- und Bandprojekte sind eine weitere Möglichkeit, bewusst erste Zeichen zu setzen und Lernprozesse anzustoßen. Es ist noch viel auf diesem Gebiet zu tun.

Weitere sehr interessante Infos von "medico international" zum Thema "tödliche Textilfabriken":
https://www.medico.de/sie-klagen-gegen-kik-15954/

Digitale Beweisführung
Die Forschergruppe Forensic Architecture rekonstruiert den Brand in der pakistanischen Textilfabrik. Das hilft den Opfern in ihrem Kampf um Entschädigung:
https://www.medico.de/warum-es-geschah-16674/

Versammlung der NTUF. Foto: ECCHR

Ausgewählte Artikel zum Thema:

Mit Recht gegen das System: 2012 brannte in Pakistan eine Fabrik. Darum droht dem Textildiscounter Kik ein Prozess in Dortmund (aus "der Freitag" vom 27. Oktober 2016):
https://www.freitag.de/autoren/paul-hildebrandt/mit-recht-gegen-das-system-1

Brandheiße Ware: Nach einem Brand in einer Textilfabrik in Pakistan, bei dem vor vier Jahren 260 Menschen starben, wurde schnell der deutsche Kleidungs­discounter Kik als Schuldiger ausgemacht. Doch die Rechts- und Faktenlage ist komplizierter als zuerst gedacht (aus "Jungle World" vom 8. September 2016):
http://jungle-world.com/artikel/2016/36/54796.html

KiK muss vor Gericht: Vier Pakistaner verklagen den Textildiscounter – und bekommen Prozesskostenhilfe in Deutschland. Ein erster Sieg mit möglicherweise großen Folgen (aus "taz" vom 31. August 2016):
https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5331754&s=kik+muss+vor+gericht/

14 Cent mehr sichern Existenz: Schon ein geringer Lohnaufschlag könnte für Beschäftigte in Südasien viel bewirken. Händler wie KiK wehren sich gegen eine Initiative (aus "taz" vom 30. Juni 2016):
https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5321046&s=cent+pro/

Viel Stoff, wenig Lohn: Elf Jahre nach Ende des Welttextilabkommens haben nur die großen Textilkonzerne gewonnen, die Umwelt und vor allem die Beschäftigten sind die Verlierer (aus "Ver.di Publik" vom März 2016):
https://publik.verdi.de/2016/ausgabe-03/spezial/arbeit-umwelt/seite-18/A1

Blut aufwischen.Und weiter: Textilindustrie Drei Jahre nach der Tragödie von Rana Plaza bekommen Näherinnen in Bangladesch immerhin mehr Lohn (aus "der Freitag" vom 24. März 2016)
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/blut-aufwischen-und-weiter

Mörderisches Shoppen: Was steckt hinter edlen Labels und billiger Mode?
(Aus: "Lunapark21" Nr. 30, Sommer 2015):
http://www.lunapark21.net/moerderisches-shoppen/

 

Hier ist die "FUgE-News" einsehbar:
https://fugehamm.files.wordpress.com/2016/12/2016-12-01-fuge-news.pdf

 

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