Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 267, März 2002
Atomraketenzubehör für Indien aus NRW
Bereits am 26.1.1999 hatte die indische Regierung die nach dem indischen Feuergott benannte Atomrakete "Agni" in den Mittelpunkt ihrer großen Militärparade gestellt. Noch im gleichen Jahr meldete sich in der deutschen Botschaft in Neu Delhi ein anonymer Anrufer, der die deutsche Firma "Montanhydraulik GmbH" bezichtigte, Hydraulik-Zylinder für die Agni-Rakete geliefert zu haben.
Standorte dieser Firma befinden sich in Holzwickede (Hauptsitz), Werl, Gelsenkirchen und Hamm. Nach rund anderthalb Jahren interner Recherchen durchsuchten Mitte Juli 2001 die Staatsanwaltschaft Dortmund und das Zollkriminalamt Düsseldorf die jeweiligen Standorte, wobei umfangreiches Material sichergestellt wurde und ein Anfangsverdacht sich bestätigte.
Die angeblich für den zivilen Einsatz vorgesehenen Teile wurden nach Ansicht der Zollfahnder nicht für den Brückenbau, sondern für die atomare Mittelstreckenraketen "Agni" verwendet. Mit einer Reichweite von 2.500 Kilometern wäre sie nicht nur eine Bedrohung für Pakistan. Die Lieferung der Firma "Montanhydraulik" ist nicht die einzigste Unterstützung aus Deutschland: So versorgte die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt Indien mit den nötigen Hitzeschutzschilden und den Navigationssystemen, die für die Agni-Raketen unentbehrlich sind.
Bereits 1989 berichtete das "Wall StreetJournal" unter Berufung auf CIA-Experten, dass das Steuersystem sowie der Antrieb der "Agni" von der deutschen Firma "Aerospatiale" entwickelt worden war. Während auch in diesem Jahr trotz pakistanischer "Versöhnungsbereitschaft" die Agni-Atomraketen beim Staatsakt anlässlich des 52. Jahrestages der Gründung der indischen Republik drohend präsentiert wurde, wird in Deutschland seit über drei Jahren bisher folgenlos gegen "Montanhydraulik" ermittelt.
Vielleicht ein Anlass für die Friedensbewegung, nicht nur gute Artikel über die Konfliktherde auf dem indischen Subkontinent zu schreiben (siehe GWR 266), sondern gar selbst aktiv zu werden – in Deutschland?
Nachtrag 1:
Im THTR-Rundbrief Nr. 79 vom Januar 2003 beschrieb ich den Fortgang des Verfahrens:
In unserer Ausgabe Nr. 72 vom Dezember 2001 berichteten wir über die deutsche Firma "Montanhydraulik GmbH", bei der laut Staatsanwaltschaft ein begründeter Anfangsverdacht bestünde, dass sie Atomraketenzubehör für Indien geliefert hatte. Mitte Juli 2001 wurde auch das Firmengelände in Hamm durchsucht und umfangreiches Material sichergestellt. Nach fast eineinhalb Jahren wollte der THTR-Rundbrief wissen, ob "schon" Ergebnisse vorliegen. Die Staatsanwaltschaft Dortmund teilte uns zwei Monate nach unserer Anfrage am 23.11.2002 folgendes mit:
"Die von Ihnen begehrten Auskünfte können nicht erteilt werden. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes sind gemäß den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren Privatpersonen oder privaten Institutionen aus Ermittlungsverfahren Informationen ohne Darlegung eines berechtigten Interesses grundsätzlich zu versagen. Nach Abschluss der Ermittlungen ist zu erwarten, dass das von Ihnen benannte Ermittlungsverfahren Gegenstand der Medienberichterstattung wird, so dass allgemeinen (?Tippfehler?) zugängliche Informationsquellen ausreichend zur Verfügung stehen werden." gez. Düllmann
Tja, wo kämen wir denn hin, wenn jeder Bescheid wissen wollte, ob in seiner Heimatstadt an einer atomaren Waffenschmiede mitgearbeitet wird und womöglich noch dagegen demonstrieren würde?? Übrigens: "Auf einer UN-Konferenz zur Rüstungskontrolle bei Langstreckenraketen haben die Vertreter von 92 Staaten einen Verhaltenskodex für den Umgang mit diesen Trägersystemen unterzeichnet. Indien und Pakistan gehören nicht dazu!" (Junge Welt vom 27. 11. 2002) - Vielleicht sollte sich die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen mal etwas beeilen?
Nachtrag 2:
Unglaublich! Am 20. 6. 2008 ist auf der Homepage von "Der Westen" zu lesen: "Das erlebt ein Staatsanwalt selten: Der Betriebsrat einer Firma bittet um Nachsicht für den Chef, da dessen Verurteilung 600 Arbeitsplätze gefährden könnte. Ein Brief, vergeblich geschrieben: Fünf Jahre und zwei Monate Haft forderte Staatsanwalt Hans-Jörg Jansen gestern im Dortmunder Landgericht für Montanhydraulik-Chef Dr. Peter Lipphardt (64)." – Den Arbeitern dieser Firma scheint es völlig egal zu sein, ob mit ihrer Hilfe ein Atomkrieg geführt wird oder nicht. Verantwortungslos! Hauptsache man verdient viel Geld. Der Rest ist ihnen offensichtlich egal.
Am 27. 6. 2008 meldete die Homepage "Der Westen": "Das Landgericht Dortmund hat gestern die beiden ehemaligen Geschäftsführer der Montanhydraulik GmbH, die in Werl eine Tochtergesellschaft hat, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Hauptangeklagte, der 64-jährige Dr. Peter L., bekam drei Jahre und zehn Monate Gefängnis. Gegen den mitangeklagten Cousin Michael (55) verhängten die Richter zwei Jahre und vier Monate Haft. Staatsanwalt Hans-Jörg Jansen hatte den beiden Männern vorgeworfen, ganz bewusst Hydraulik-Zylinder nach Indien geliefert zu haben, die sich für Abschussrampen von Raketen geeignet hätten."
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