Aus: "Kultur und Umweltschutz Information" (Hg. "Die Naturfreunde" Landesverband Westfalen), Nr. 3, 1987
Der Hochtemperaturreaktor: Glaubwürdigkeitstest für die SPD
Nicht nur die Betreiber, auch nordrhein-westfälische Sozialdemokraten haben ihre Schwierigkeiten mit dem THTR in Hamm-Uentrop. Die Einen haben das Problem, diesen angeblich "inhärent sicheren" Reaktor überhaupt funktionstüchtig zu erhalten, die Anderen plagen sich mit Selbstzweifeln, wie sie trotz vollmundiger Ausstiegsbeschlüsse den Weiterbetrieb des THTR im sozialdemokratisch regierten NRW rechtfertigen sollen.
Als am 16. Mai 1987 auf unserer Naturfreunde-Landeskonferenz in Witten das SPD Landesvorstandsmitglied Wendzinski ein Grußwort sprach, nutzte er die Gelegenheit den Ausstieg aus der Atomenergie zu fordern - insbesondere in der ganzen Welt, aber auch in Wackersdorf und Kalkar. Einer Handvoll Delegierte aus dem Raum Hamm viel auf, daß der THTR als einziger im Landesverband Westfalen stehende Reaktor bei dieser Rede seltsamerweise nicht erwähnt wurde!
Auf dementsprechende Zurufe reagierte der kämpferische "Aussteiger" allerdings nur durch sekundenlanges irritiertes Schweigen, um danach in seiner Rede fortzufahren.
Der THTR weist auch ein Jahr nach dem Störfall vom Mai 1986 schwerwiegende technische Mängel auf. Er besitzt keine zwei voneinander unabhängige Abschaltsysteme. Er hat kein vom Betriebssystem unabhängiges Notkühlsystem. Der Kugelhaufen ist stärker verdichtet als angenommen, was zu Problemen beim Einfahren der Abschaltstäbe geführt hat. Die Kugelbruchrate ist bisher zehn Mal so hoch wie erwartet. Kein Wunder, daß selbst die Betreiber und die Hersteller des THTR wegen der vielen Mängel in Konflikt miteinander gerieten.
Selbst der THTR-Betreiber veröffentlichte eine lange Schwachstellen-Liste!
Der Spiegel schrieb dazu am 27. 7. 1987: "Die VEW-Manager wollten der BBC das pannenträchtige Kernkraftwerk zunächst gar nicht abnehmen. BBC erwog daraufhin, wegen "Annahmeverzug" zu klagen, und drohte - ein Novum in der deutschen Kernkraftgeschichte - den THTR abzuschalten. Die VEW konterte und listete 36 Schwachstellen des Bauwerks auf - von störanfälligen Betriebselementen bis zu defekten Filtern.
Die Kontrahenten einigten sich schließlich insgeheim Mitte vorigen Monats: Rückwirkend zum 1. Juni 1987 gilt der Reaktor als übergeben." Die NRW-Landesregierung hat seit dem Störfall im Mai 1986 so ziemlich alles unterlassen, was die VEW ernsthaft in Schwierigkeiten bringen konnte. Sie hat letztendlich mitgeholfen, die Störfälle zu verschleiern, hat ihre gesetzlich vorgeschriebene Aufsichtspflicht verletzt und trägt deshalb eine Mitschuld an künftigen Störfällen und Gefährdungen von Menschenleben.
Am 4. Mai 1986 klemmte in der Kugelbeschickungsanlage des THTR eine Kugel. Sie wurde mit radioaktiv verseuchtem Helium freigeblasen. Das verdreckte Helium wurde vorschriftswidrig an die Umwelt abgegeben. Die VEW behaupteten kurze Zeit später, die gemessenen Werte von 50.000 bq am THTR seien einzig und allein auf das Unglück in Tschernobyl zurückzuführen. Aber ausgerechnet in dem entscheidenden Zeitraum wurde am 4. Mai das Meß- und Aufzeichnungssystem für die abgegebene Radioaktivität mehrere Male unterbrochen. Die VEW hätten allen Grund gehabt, diesen ungeheuerlichen Vorfall zu erklären und sich der öffentlichen Diskussion zu stellen.
Meßgeräte für Radioaktivität wurden vom Betreiber abgestellt!
Ungeheuerlich ist allerdings nicht nur, daß die Radioaktivität nicht vollständig gemessen wurde‚ sondern daß der THTR überhaupt in Betrieb genommen werden konnte, obwohl die aufgetretenen Probleme und die mangelnde Sicherheit vorauszusehen waren. Das beste Meßsystem nützt gar nichts, wenn es vom Betreiber unterbrochen werden kann und eine Landesregierung im Nachhinnein die Vorgänge noch nicht einmal rekonstruieren kann. Die erhöhten Werte sind bekanntlich vom Öko-Institut ermittelt worden. Der Landesregierung ist nichts aufgefallen.
Um so verwunderlicher ist es, daß von ihr kein Vertreter des Öko-Instituts an dem Untersuchungsbericht beteiligt worden ist. Eine lückenlose Aufklärung konnte wegen der Lücken auf dem Meßstreifen nicht erfolgen. Das Ministerium schreibt deswegen in der Vorbemerkung des Berichts: "Unter Berücksichtigung der Meßgenauigkeit ist nicht eindeutig festzustellen, ob der für Abgaben radioaktiver Aerosole aus dem THTR genehmigte Tagesgrenzwert nicht geringfügig überschritten wurde." - Trotz dieser und vieler anderer Ungereimtheiten hat die Landesregierung den THTR wieder in Betrieb gehen lassen!
SPD-Landesregierung: "Die HTR’s sind eine vorzugswürdige und sichere Reaktorlinie!"
Der Beschluß‚ den vorliegenden Untersuchungsbericht in Auftrag zu geben, wurde am 10. Juli 1986 von der SPD-Mehrheit im Landtag gefällt. In dem gleichen Antrag wurde die Hochtemperaturreaktor-Technologie von der Landesregierung zur "vorzugswürdigen und sicheren Reaktorlinie" erklärt.
Das sagt einiges aus. Vor allem mit welcher Intention an die Ausfertigung des Untersuchungsberichtes gegangen wurde. Aber damit nicht genug. Am selben Tag wurde von der Landesregierung die Genehmigung zur Wiederinbetriebnahme des THTR gegeben, ohne daß der Untersuchungsbericht abgewartet worden wäre. Was für einen Sinn hatte der Untersuchungsbericht, wenn für die Landesregierung sowieso klar war, daß der THTR wieder ans Netz gehen soll??
Bereits vier Tage nach Beschluß im Landtag, den Untersuchungsbericht in Auftrag zu geben, teilt der Berichterstatter der Untersuchungskommission der Landesregierung, Herr Ritter, im WA vom 15. 7. 1986 mit, "daß es keinen Verstoß gegen Vorschriften gegeben hat." Das Ergebnis wurde also bereits nach vier Tagen ausgeplaudert. Trotzdem wurde es erst nach zwei Monaten offiziell bekanntgegeben.
Interessengeleitete Untersuchungskommission
Desweiteren ist Kritik an der Zusammensetzung der Untersuchungskommission anzumelden. Sie ist ausschließlich von Mitgliedern der Genehmigungs- und Überwachungsbehörde, nämlich dem Wirtschaftsministerium, besetzt worden. Diese Behörde ist hinlänglich dafür bekannt, daß sie das THTR-Konzept unkritisch unterstützt. Wie sollte sie auch anders! Da Sie viele Milliarden DM an Steuergeldern in den THTR hineingesteckt hat, ist es nachvollziehbar, daß sie nun alles tut, um ihr Projekt am Leben zu erhalten. Die Unabhängigkeit der Untersuchungskommission ist bei dieser Verquickung von wirtschaftlichen Interessen nicht mehr gewährleistet.
Als am 11. Juni 1986 Minister Jochimsen die Betriebsgenehmigung für den THTR aussprach, wurden der VEW einige Auflagen gemacht. Ein zusätzlicher Filter, neue Vorschriften im Bedienungshandbuch, kleine Änderungen an der Kugelbeschickungsanlage und schon war die Welt wieder in Ordnung. Grundsatzliches geändert hat sich nicht.
Nach einem erneuten Zwischenfall in der Beschickungsanlage mußten am 2. August 1986 die VEW auf einer Pressekonferenz zugeben, daß "es sich bei den Schwierigkeiten um Planungsmängel handele, die auch in absehbarer Zukunft nicht zu beheben seien" (WA).
Exportoffensive trotz Planungsmängel
15 Jahre sind bisher an dem THTR gebaut worden und die Landesregierung will uns weismachen, daß innerhalb von ein paar Tagen ein völlig neuer Sicherheitsstandard erreicht worden wäre. Nach dem 4. Mai 1986 kam es zu einer ganzen Reihe von weiteren Störfällen und Abschaltungen, die zeigen‚ wie schlecht es um die Sicherheit des THTR auch nach gewissen Ausbesserungen bestellt ist.
Natürlich haben BBC und VEW kein Interesse daran, daß der THTR erneut ins Gerede kommt, während sie eine beispiellose Exportoffensive für ihre Reaktorlinie starten. Ausländische Interessenten sollen nicht abgeschreckt werden. Inzwischen hat die SPD zum Jahrestag von Tschernobyl nicht nur ihren Ausstiegswillen bekräftigt, sondern explizit die Unterbindung des Exports von Atomkraftwerken gefordert.
Um die HTR-Linie mit Erfolg exportieren zu können, brauchen die Betreiber aber einen Vorzeigereaktor, der in Betrieb ist. Und das ist der THTR in Hamm-Uentrop, der mit Billigung der Landesregierung künstlich am Leben gehalten werden soll - zumindest solange die Auslandsgeschäfte abgeschlossen worden sind.
Wenn die SPD ihre Parteitagsbeschlüsse nicht zu Makulatur degradieren will, dann sollte sie dort ernst mit ihren Beschlüssen machen, wo sie selber an der Regierung ist, sonst wird sie unglaubwürdig!
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