Aus: "Anti Atom Aktuell", Nr. 125, November 2001
Reaktor-THe(TR)ologie
Die SPD wirbt im "Vorwärts" auch im neuen Jahrtausend noch für die THTR-Technologie!
Es ist schon sehr erstaunlich, wie schnell in manchen Parteien oder bei manchen Menschen einmal gewonnene Erkenntnisse Gefahr laufen, wieder in Vergessenheit zu geraten. Aktuelles Beispiel ist Fritz Vahrenholt, der im sozialdemokratischen "Vorwärts" im Juli 2001 altbekannte Märchen über die angeblich inhärente Sicherheit von Hochtemperaturreaktoren aus der Mottenkiste der 60er und 70er Iahre wieder hervorholte.
Und Vahrenholt ist nicht irgendwer, sondern "Mitglied des Rates für nachhaltige Entwicklung" beim Bundeskanzler wie der "Vorwärts" schreibt. Bei einem solchen Berater muss man offensichtlich in der Energiepolitik von Rotgrün mit dem Schlimmsten rechnen.
Hier eine Kostprobe:
"Die Dramatik der Klimaveränderungen könnte einen Umweltminister, so Vahrenholt, im Jahre 2015 dazu zwingen, die Forschung z. B. zur Kernfusionstechnik zu beschleunigen. 'Wir brauchen dann möglicherweise auch eine Diskussion über Strom aus inhärenten, störfallfreien Hochtemperaturreaktoren'. Damit will er keineswegs die 'Option der plutoniumproduzierenden, störanfälligen Atomkraftwerke offen halten, aus denen Deutschland gerade aussteigt'. Die herkömmliche Technologie der Siedewasser- und Druckwasser-Reaktoren mit unkalkulierbaren Rückständen ist out.
Aber ich spreche von einer Technologie, die in Deutschland einmal probiert und dann abgebrochen wurde: dem Hochtemperaturreaktor (HTR) auf Thoriumbasis. Der produziert kein Plutonium und kann schon vom Wirkprinzip her nicht außer Kontrolle geraten. Er sei zwar nicht dafür, in Deutschland schon heute auf den HTR zu setzen. Doch wenn andere Staaten, wie China oder die USA, weiter auf die Kernspaltung bauen, sollte in Zukunft dort eine sichere Technologie eingesetzt werden. Deutschland müsse seinen Beitrag für die Forschung auf diesem Gebiet offen halten. (...) Fritz Vahrenholt bedauert, dass in der Vergangenheit häufig zunächst die Risiken von Technologien diskutiert wurden, so dass die Chancen und Potentiale von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Blick gerieten."
Als Entgegnung sei hier kurz auf das Buch "Der Hochtemperaturreaktor" (1991, Campus) von Ulrich Kirchner hingewiesen, das aufzeigt, dass der Begriff "Sicherheit" sich zum einen einer exakten Definition entzieht und zum anderen das Argument der inhärenten Sicherheit von den Betreibern dazu benutzt wurde, in den 60er und 70er Jahren die Marktchanchen für den HTR zu verbessem und eine einfachere Genehmigungsfähigkeit mit sicherheitstechnisch geringerem Aufwand zu erreichen.
Er stellte fest:
"Sicherheitsbetrachtungen in der zweiten Hälfte der siebziger und Anfang der achtziger Jahre (Fassbender 1985, Kernforschungsanlage Jülich 1987) sprachen größeren Hochtemperaturreaktoren die inhärente Sicherheit ab. Die vorher wie eine Tatsache dargestellte Behauptung der inhärenten Sicherheit für Hochtemperaturreaktoren allgemein wurde nicht mehr aufrechterhalten. (...) Die Frage der inhärenten Sicherheit kleiner HTR-Anlagen erhielt jedoch nicht nur von Kernkraftkritikern eine skeptische Bewertung. Besonders die nuklearen HTR-Konkurrenten wehrten sich dagegen, die inhärente Sicherheit als Argument zugunsten eines Reaktorsystems anzuerkennen.
Dabei mag es verblüffen, daß sogar Vertreter von KWU und Interatom Argumente gegen das im eigenen Haus entwickelte Konzept vorbrachten. (...) Der Verweis auf die inhärente Sicherheit zu bestimmten Zeiten läßt die Frage aufkommen, ob es sich hierbei nicht um ein 'Phantom' handelt, 'ein Wunschtraum, der in Krisensituationen immer wieder vorgegaukelt' wird" (Kirchner, Seite 44 - 48).
Die zahllosen Pannen und Störfälle Mitte der 80er Jahre im THTR belegen zusätzlich, dass Herr Vahrenhold offensichtlich nicht weiss‚ worüber er redet. Ärgerlich ist es, dass solche Äußerungen bisher unwidersprochen einem Millionenpublikum dargeboten werden konnten und der "Vorwärts" die Mitgliederzeitung einer maßgeblichen Regierungspartei ist. Also den dummen Worten womöglich noch dumme Taten folgen werden.
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