Aus: "Kultur und Umweltschutz Information" (Hg. "Die Naturfreunde", Landesverband Westfalen), Nr. 2, 1988
THTR am Ende?
Sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete und die NRW-Landesregierung versuchen mit allen Tricks, den THTR zu retten und subventionieren unter falschem Namen die HTR-Forschung mit Millionen.
"Tatsache ist‚ daß unsere östlichen Nachbarn aus energie- und umweltpolitischen Gründen die Kernkraft weiter ausbauen. Es stellt sich daher die Frage, ob es gerechtfertigt ist, die Verantwortungsfähigkeit der Regierungen in Zweifel zu ziehen, die vornehmlich aus Gründen einer ausreichenden und umweltverträglichen Stromversorgung auf Kernkraftwerke in ihren Ländern nicht verzichten können und deshalb wohl auch nicht verzichten wollen. (...) Die zur Zeit laufenden Bemühungen der Sowjetuniun, sich bei deutschen Kraftwerksherstellern die Hochtemperatur-Reaktor-Technologie wegen der ihr zugeschriebenen Zuverlässigkeit zur Nutzung zu sichern‚ erfordern für die mit dem Exportverbot zusammenhängenden Fragen eine neue Sichtweise. Auch die möglichen langfristigen Beschäftigungswirkungen für den deutschen Arbeitsmarkt gehören mit in diese Betrachtung. (...) Die bislang starren Fronten in der Energiediskussion müssen aufgelockert werden, um unter Beibehaltung der jeweiligen Grundsatzpositionen die bislang gültige Formel von 'Kohle und Kernkraft' über einen längeren Zeitraum zu tolerieren."
Diese Äußerungen haben nicht etwa die VEW oder die Hochtemperatur-Reaktorbau GmbH von sich gegeben‚ sondern die beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Horst Niggemeier und Erwin Stahl. Nachzulesen ist es in der sozialdemokratischen Fachzeitschrift für Kommunalpolitik "Demokratische Gemeinde" im März 1988. In der Tat sind seit der Tschernobyl-Katastrophe hektische Aktivitäten der Atomindustrie zu beobachten, die HTR-Linie in anderen Ländern als besonders sicher und umweltfreundlich anzupreisen. Daß nach nur kurzer Pause wieder einmal SPD-Bundesabgeordnete in diesen Chor einstimmen, ist ein starkes Sück. Mißachtet und ignoriert werden durch diese Äußerungen nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch den Intentionen vieler sozialdemokratischer Ortsvereine und Parteigliederungen wird eine deutliche Abfuhr erteilt.
Die SPD-Bundestagsabgeordneten Niggemeier und Stahl stehen auch stellvertretend für die Haltung der NRW-Landesregierung, die durch die Betriebsgenehmigung des THTR gezeigt hat‚ daß ihr die wirtschaftlichen Interessen der Atomindustrie wichtiger sind als alle Bedenken der Atomenergiegegner.
Die Gefahr, die von den geplanten Hochtemperaturreaktoren ausgeht, darf keinesfalls unterschätzt werden. Hier unternimmt die Atomindustrie den Versuch, nach dem Schock von Tschernobyl mit einer technologischen "Neuentwicklung" verlorengegangene Marktanteile zurückzuerobern. In dem Hannover Messe-Special der Zeitschrift "Sieg Tech" vom 19. 4. 1988 schreibt die VEW‚ daß sie die Kohle- und Atomenergie mittelfristig zu einem "harmonischen" Gesamtsystem zusammenfügen will.
Hauptbaustein ist der THTR Hamm‚ der weiterentwickelt werden soll‚ damit neben der Strom- und Prozeßdampferzeugung auch die Kohleveredelung mit nuklearer Wärme betrieben werden kann. Diese technische Koppelung hätte dann noch den erwünschten Nebeneffekt, daß die IGBE und die SPD-Landesregierung auch weiterhin die Atomenergie nicht massiv angehen, sondern sich zur Kooperation gezwungen sehen.
Das Ganze wird zu allem Überfluss als zukunftsweisende Technologie für das gebeutelte Ruhrgebiet verkauft: "Der THTR 300 in Hamm-Schmehausen ist das spektakulärste Beispiel für den Willen des Ruhrgebiets, auch in Zukunft Deutschlands Energiezentrum zu bleiben" (aus: Sieg Tech‚ 19.4.88).
Das von der SPD-Landesregierung mit vielen Millionen DM geförderte Steinmüller-Entwicklungsprogramm "Kohle" ist in Wirklichkeit ein Programm, daß der Weiterentwicklung des THTR dient:
"Während bei den genannten Verfahren die für die Vergasungsreaktion aufzubringende Energie durch Verbrennung der Kohle bereitgestellt wird, sind auch allotherme Verfahren in der Entwicklung, bei denen die Reaktionswärme durch nukleare Energien eingebracht wird. Die Erprobung wesentlicher Bausteine solcher Verfahren war Ziel des vom Land NRW geförderten Vorhabens ‚Prototypanlage Nukleare Prozeßwärme’, die sowohl die hydrierende Vergasung als auch die Wasserdampfvergasung von Kohle mittels 'Fremdenergie' aus dem Hochtemperaturreaktor zum Gegenstand hatte. Steinmüller ist mit der Entwicklung der beiden Schlüsselkomponenten zur Auskopplung der Wärme aus dem Hochtemperaturreaktor‚ dem Röhrenspaltofen und dem Zwischenwärmeaustauscher‚ betraut." (aus: Sieg Tech, 19. 4. 1988). Zuschuss der SPD-Landesregierung hierfür allein für 1988: 28,5 Millionen DM (WAZ, 17. 12. 1987).
Aber auch der Siemens-Konzern hat die Chance erkannt, mit der HTR-Technologie das marode Atomgeschäft wieder anzukurbeln. Das HTR-Modul soll die auslaufende Serie der Leichtwasserreaktoren wie Biblis‚ Grohnde‚ Brokdorf ablösen. Als Ziel sollen mehrere 100 MV Blöcke zusammengeschaltet werden und kombiniert Prozeßdampf bis 500° C, Fernwärme oder Strom erzeugen können.
Die Siemens Tochter KWU beantragte bereits in Niedersachsen die Konzeptgenehmigung für den Bautyp HTR-Modul. Die Landesregierung will zusammen mit der Atomindustrie erstmals mit dem "standortunabhängigen Vorbescheid" die Einspruchmöglichkeiten von Bürgern reduzieren. Ist das Verfahren rechtsgültig abgeschlossen, haben Bürger, die nicht rechtzeitig Einwendungen gegen dieses Konzegt erhoben haben, kein Klagerecht mehr.
Die Bürgerinitiativen in Niedersachsen sind aber zwischenzeitlich nicht untätig geblieben und haben einen Kongress zum HTR-Modul durchgeführt und bereiten sich auf eine Kampagne zur Durchführung von bundesweiten Sammeleinwendungen vor.
Ob der Atomindustrie in Zusammenarbeit mit den Landesregierungen in NRW und Niedersachsen ein erneuter Durchbruch gelingt‚ ist letztlich noch nicht entschieden. Es kommt auf unseren Widerstand an!
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