Aus: "Kultur und Umweltschutz Information" (Hg. "Die Naturfreunde", Landesverband Westfalen), Nr. 3, 1988
Peinlich: Atomwerbung bei großem "Naturfreunde"-Bundestreffen!
SPD-Regierung in NRW auch nach Tschernobyl voll auf Atomkurs
Noch im Jahr 1988 konnten die Vereinigten Elektrizitätswerke (VEW) in dem Programmheft der mehrheitlich SPD-nahen "Naturfreunde" für das Bundestreffen mit 10.000 Teilnehmern in Lünen eine ganzseitige Anzeige für "Kohle und Kernenergie" mit folgendem Inhalt schalten: "Es gibt keine Alternative, die die Formel 'Kohle und Kernenergie' außer Kraft setzen könnte. Sie gilt für uns, die wir in einem hochindustrialisierten Land leben, besonders". Laurenz Meyer von VEW und CDU durfte in einem Vortrag für den in der Nachbarstadt durch zahlreiche Störfälle bekanntgewordenen Pleitereaktor THTR werben.
Doch die unglaublich peinliche Parteinahme für die Nuklearindustrie durch die "Naturfreunde"-Organisatoren blieb nicht ohne Widerspruch. Ich dokumentiere hier die von mir verfassten zwei Artikel im Verbandsorgan sowie das in einer Auflage von 5.000 Exemplaren in Lünen verteilte Flugblatt.
Peinlich! - Natürlich meine ich die VEW-Anzeige für "Kohle und Kernenergie" in unserem Programmheft für das Bundestreffen in Lünen. Da der Vorbereitungsstreß nun vorbei sein dürfte, der dieses Mißgeschick angeblich erst möglich gemacht haben soll, können wir darüber in aller Ruhe noch einmal diskutieren. Denn dies scheint mir notwendig, da die in dem Flugblatt der Gruppe Hamm geforderte Aufarbeitung im Gesamtverband und in der bundesweiten Verbandszeitung "Wandern + Bergsteigen" nicht erfolgte.
Auf die mit einigen entschuldigenden Hinweisen verbundene Aufforderung zur Diskussion in der letzten Ausgabe von "Kultur und Umweltschutz” meldete sich bisher niemand. Dies ist ein bischen wenig für eine Organisation, welche die Nutzung der Atomenergie "rigoros" ablehnt!
Da niemand vom Bundesverband oder von den Verantwortlichen für das Programmheft sich äußert, bleiben Fragen offen:
+ Ist jemand von den Naturfreunden mit einem Anzeigenwunsch an die VEW herangetreten (und mit welcher Intention) oder hat sich die VEW bei den Naturfreunden gemeldet? Im letzteren Fall: Wieso weiß die VEW so gut über eine rigorose Anti-Atom-Organisation Bescheid, daß sie rechtzeitig eine Anzeige schalten kann?
+ Wieviel Geld haben die VEW für die Anzeige gezahlt? Wird daran gedacht, das eingenommene Geld den Bürgerinitiativen gegen Atomenergie zu spenden?
+ Was heißt: "Selbstverständlich wurde die Anzeige storniert?" - Viele tausend Exemplare wurden in Lünen noch mit der VEW-Anzeige verteilt. Wie sieht in Zukunft das Engagement der "Naturfreunde" gegen Atomkraftwerke - insbesondere gegen den THTR-Hamm - aus?
Strom ja – aber so nicht!
Eine feine Gesellschaft ist das: VEW-Chef Knizia‚ Finanz-Chef Portugall und Ex-Vorstand Kliemt wurde im September 1988 von der Bonner Staatsanwaltschaft vorgeworfen, durch verdeckte Parteispenden an FDP und CDU rund 1,1 Millionen DM Steuern hinterzogen zu haben. Gegen die drei Manager waren Strafbefehle zwischen 36.000 und 122.000 DM ergangen, gegen die sie Beschwerde eingelegt haben.
Der Prozeß endete am 21. 9. 1988 mit Freispruch. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt. Interessant ist, daß die Spenden der VEW an die als Spendenwaschanlage fungierende Staatsbürgerliche Vereinigung bis Ende der 70er Jahre flossen. - Eine Zeit, in der durch die Aktivitäten der Umweltschutzbewegung die Atomenergie stark in Frage gestellt wurde. Mit den insgesamt 2,16 Millionen Mark wird es den damaligen Parteien leichter gefallen sein, den Ausbau der Atomenergie durchzusetzen.
SPD: THTR-Planer sollen Sicherheit des THTR selbst prüfen!
"Trotz vieler Mängel verbietet Düsseldorf Atomanlagen nicht". - So zutreffend fasste die Frankfurter Rundschau am 18. 10. 1988 das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung der kerntechnischen Anlagen in NRW zusammen. Zur Erinnerung:
Von dieser Sicherheitsüberprüfung machte der SPD - Landesparteitag 1987 seine Zustimmung zu der letzten noch ausstehenden Betriebsgenehmigung für den THTR abhängig. Mit der Überprüfung hat die NRW-Landesregierung den zweitgrößten Schweizer Atomkonzern Elektrowatt beauftragt, der zudem eine Option auf die Planung des Nachfolgereaktors vom THTR-Hamm besitzt. Dagegen wurden kernenergiekritische Experten gezielt von einer Gutachtertätigkeit ausgeschlossen.
"Mängel ja, aber keine Gefahr für Mensch und Umwelt": Das Ergebnis der von Wirtschaftsminister Jochimsen bestellten Sicherheitsüberprüfung der Atomanlagen in NRW war vorher absehbar. Insbesondere die "Konsequenzen". Technische Nachrüstungen und Überflugverbote sind auf den Pro-Atom-Kurs der Landesregierung zugeschnitten. Sie helfen letztendlich, den Weiterbetrieb von Atomanlagen zu legitimieren. Lediglich der Schnelle Brüter wird termingerecht zur nächsten Landtagswahl 1990 in eine Ruine verwandelt.
Aber nicht Überall handeln SPD-Mitglieder so atomenergiefreundlich wie im Landtag in Düsseldorf. Daß sich die geplante Genehmigung der TransportbereitstellungshalIe für radioaktive Abfälle neben dem THTR-Hamm zu einen Politikum ersten Ranges entwickelt‚ ist zum größten Teil dem Engagement der Pressesprecherin des SPD-Unterbezirks‚ Christa Bredner‚ zu verdanken. Fast 2000 Einsprüche wurden gesammelt. Die Landesregierung gerät unter Druck.
Unterdessen wurde im Oktober 1988 in Hamm eine weitere Auswirkung der NRW-Atomvorrangpolitik offenbar. Die Zeche Radbod wird 1990 geschlossen‚ 2.300 Arbeitsplätze gehen verloren. Ob dies den zuständigen Genossen in Düsseldorf einen Denkanstoß geben wird?
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Auszug aus dem vierseitigen Flugblatt der Naturfreunde Hamm für das Bundestreffen in Lünen 1988:
Stoppt den Atomkurs der NRW-Landesregierung!
Nur 30 Kilometer östlich von Lünen steht der Thorium Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm. Die Landesregierung hat – trotz gegenteiliger SPD-Parteitagsbeschlüsse – nichts getan, um den THTR stillzulegen. Im Gegenteil:
+ Selbst nach dem skandalösen Störfall am 4. Mai 1986 hat die Landesregierung die Genehmigung zur Wiederinbetriebnahme gegeben!
+ Auch 1988 gibt die Landesregierung 28,5 Millionen DM zur Förderung und Weiterentwicklung des THTR aus!
+ Maßgebliche SPD-Bundestagsabgeordnete aus NRW befürworten den Export der HTR-Atomtechnologie in das Ausland.
+ Die Landesregierung und der Regierungspräsident in Arnsberg lehnen es ab, für das radioaktive Abfalllager 120 Meter neben dem THTR ein Genehmigungsverfahren nach dem Atomgesetz durchzuführen!
+ Die Landesregierung beauftragte fast ausschließlich bekannte Atomkraftbefürworter, eine landesweite Sicherheitsüberprüfung“ durchzuführen. Das Ergebnis fällt dementsprechend aus.
Exportoffensive für Atomkraftwerke – unterstützt durch SPD-Bundestagsabgeordnete!
"Tatsache ist‚ daß unsere östlichen Nachbarn aus energie- und umweltpolitischen Gründen die Kernkraft weiter ausbauen. Es stellt sich daher die Frage, ob es gerechtfertigt ist, die Verantwortungsfähigkeit der Regierungen in Zweifel zu ziehen, die vornehmlich aus Gründen einer ausreichenden und umweltverträglichen Stromversorgung auf Kernkraftwerke in ihren Ländern nicht verzichten können und deshalb wohl auch nicht verzichten wollen. (...) Die zur Zeit laufenden Bemühungen der Sowjetuniun, sich bei deutschen Kraftwerksherstellern die Hochtemperatur-Reaktor-Technologie wegen der ihr zugeschriebenen Zuverlässigkeit zur Nutzung zu sichern‚ erfordern für die mit dem Exportverbot zusammenhängenden Fragen eine neue Sichtweise. Auch die möglichen langfristigen Beschäftigungswirkungen für den deutschen Arbeitsmarkt gehören mit in diese Betrachtung. (...) Die bislang starren Fronten in der Energiediskussion müssen aufgelockert werden, um unter Beibehaltung der jeweiligen Grundsatzpositionen die bislang gültige Formel von 'Kohle und Kernkraft' über einen längeren Zeitraum zu tolerieren."
Diese Äußerungen haben nicht etwa die VEW oder die Hochtemperatur-Reaktorbau GmbH (HKG) von sich gegeben‚ sondern die beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Horst Niggemeier und Erwin Stahl. Niggemeier ist außerdem Pressesprecher der IGBE, Stahl gehört dem Forschungs- und Technologieausschuß des Bundestages an.
Nachzulesen sind diese Äußerungen bisher unwidersprochen in der sozialdemokratischen Fachzeitschrift für Kommunalpolitik "Demokratische Gemeinde" im März 1988. In der Tat sind seit der Tschernobyl-Katastrophe hektische Aktivitäten der Atomindustrie zu beobachten, die HTR-Linie in anderen Ländern als besonders sicher und umweltfreundlich anzupreisen. Daß nach nur kurzer Pause wieder einmal SPD-Bundesabgeordnete in diesen Chor einstimmen, ist ein starkes Sück.
Mißachtet und ignoriert werden durch diesen vorstoß der SPD-Bundestagsabgeordneten nicht nur der Wille und die Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch den Bestrebungen der Naturfreunde und vieler sozialdemokratischer Ortsvereine wird eine deutliche Abfuhr erteilt. Dies lassen wir uns nicht widerspruchslos gefallen!
In dem Programmheft zum 3. Bundestreffen der Naturfreunde in Lünen konnte die VEW an exponierter Stelle ganzseitig für "Kohle und Kernenergie" werben. Dies ist angesichts der lebensbedrohenden Politik der VEW nicht nur eine peinliche Entgleisung, sondern ein Skandal, der im Gesamtverband und in "Wandern + Bergsteigen" aufgearbeitet werden sollte!
Verantwortlich: Horst Blume
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