Aus: "FUgE-News" N. 1, 2004
EU-Gelder für HTR-Forschung
Der seit 15 Jahren in der Öffentlichkeit und im Bewußtsein vieler Umweltschützer gleichermaßen völlig in Vergessenheit geratene Thorium Hochtemperaturreaktor (THTR) wird zur Zeit weltweit als neuer Hoffnungsträger der Atomindustrie gehandelt. Im Schutze dieses Desinteresses wurde in Deutschland in der Vergangenheit zielgerichtet weiter an der Wiederauferstehung dieser Reaktorlinie gearbeitet.
Nach der Stilllegung des THTRs in Hamm-Uentrop 1989 hat auch unter Rot-Grün das mit 4.200 MitarbeiterInnen Europas größte interdisziplinäre Forschungszentrum in Jülich (FZJ) die HTR-Linie nicht nur weiterentwickelt, sondern dieses Know how exportiert und den Neubau dieser Reaktoren im Ausland aktiv mit in die Wege geleitet. Das Forschungszentrum Jülich (FZJ) gehört zu 90 Prozent dem Bund und zu zehn Prozent dem Land NRW.
Nach der Stilllegung des THTRs im Jahre 1989 hat das FZJ über 70 verschiedene Arbeiten und Untersuchungen zur Weiterentwicklung der HTR-Linie durchgeführt, obwohl diese in Deutschland bereits offiziell aufgegeben wurde. Die seit den 70er und 80er Jahren bestehende intensive internationale Zusammenarbeit mit rund einem Dutzend anderen Instituten und Organisationen auf der ganzen Welt wird bis heute weiterverfolgt.
China
Bereits 1978 besuchte der stellvertretende chinesische Energieminister Chang Pin mit einer 17köpfigen Delegation den damals im Bau befindlichen THTR in Hamm-Uentrop. Seit dieser Zeit besteht eine Zusammenarbeit zwischen dem FZJ und dem Institute of Nuclear Engineering Technology (INET) an der Tsinghua Universität in Peking, die auch nach dem Massaker auf dem "Platz des Himmlischen Friedens" im Jahre 1989 nicht abgebrochen wurde. 1995 begannen die Chinesen auf dem Gelände der Universität mit dem Bau des 10-MW-HTRs. Es ist ein Kugelhaufenreaktor wie in Hamm. Im Jahre 2000 wurde der Reaktor erstmals kritisch.
Mehrere der oben genannten über 70 Arbeiten des FZJ sind speziell für die Entwicklung des chinesischen Reaktors geschrieben worden. Im Jahre 2001 fand in Peking eine internationale Tagung anlässlich der Erstkritikalitat des HTRs in China statt, über die Chrysanth Marnet in der Zeitschrift "Atomwirtschaft" (Nr. 8-9‚ 2001) euphorisch berichtete. Dieser Mann ist kein Unbekannter. Er ist Vorstandsmitglied der Düsseldorfer Stadtwerke, der einflussreichen Essener "Vereinigung der Großkraftwerksbetreiber" (VGB) und AVR-Geschäftsführer des inzwischen stillgelegten HTRs in Jülich.
Japan
Eine ähnliche Entwicklung ist in Japan zu verzeichnen. Das Japan Atomic Research Institute (JAERI), ein Kooperationspartner von Jülich, arbeitet seit 1969 an der Entwicklung des High Temperature Engineering Test Reactors (HTTR). 1991 wurde in dem Forschungszentrum Oari mit der Errichtung eines 30-MW-HTTR begonnen, der für die Prozesswärmebereitstellung gedacht ist. 2001 erreichte der Reaktor zum ersten mal Volllast. Auch hier hat das FZJ mindestens fünf Arbeiten und Untersuchungen für die HTR-Entwicklung in Japan durchgeführt.
EU und Generation IV-Reaktoren
Schon vor einigen Jahren begannen in den USA die Vorbereitungen für den Aufbau einer neuen angeblich katastrophensicheren Reaktorlinie, mit der die US-Regierung ihre Offensive für den Bau einer großen Anzahl neuer Atomkraftwerke auch gegenüber Kritikern rechtfertigen will. Es ist die "Generation IV".
Die europäischen Atomkonzerne und ihre Forschungseinrichtungen wollen in Zukunft von dem großen zu verteilenden Kuchen etwas abbekommen und haben die "Europäische Kommission" dazu gebracht, sich im 5. EU-Rahmenprogramm verstärkt für die HTR-Linie zu engagieren. Sie wollen auf diese Weise die Akzeptanz der HTR als aussichtsreichen Kandidaten für diese neue Atomenergiegeneration vorantreiben.
Hierfür haben verschiedene Firmen und Forschungseinrichtungen im Jahr 2000 das HTR-Technology Network (HTR-TN) gegründet. Es wurden mehrere große Konferenzen in Brüssel, Moskau, Peking und den Niederlanden durchgeführt, an denen bis zu 160 Wissenschaftler teilnahmen. Allein im Jahr 2001 wurden im Haushalt des 5. EU-Rahmenprogramms für das Teilprojekt HTR 17 Millionen Euro ausgegeben! In dem "Wissenschaftlichen Ergebnisbericht" 2002 des Forschungszentrums Jülich ist deswegen von "Untersuchungen zur Verbrennung von Plutonium" für die 2. HTR-Generation zu lesen. Die beiden Autoren aus Jülich verfassten in den 90er Jahren zahlreiche Arbeiten zum HTR. Unter anderem als Auftragsnehmer vom FZJ betätigt sich das "Institut für Kernenergetik und Energiesysteme" (IKE) der Universität Stuttgart in der HTR-Forschung. In der Zeit von 1999 bis 2001 wurde hier ebenfalls an einem HTR-Projekt gearbeitet. Von 2000 bis 2002 vergaben das FZJ und der französische Atomkonzern Framatome den Auftrag "HTR-TN" hierhin.
Es ist also festzustellen, dass die Atomindustrie ohne irgendwelche Schwierigkeiten zu bekommen, schon seit einigen Jahren auf der schwerer zu durchschauenden und zu kontrollierenden EU-Ebene an ihrer HTR-Linie forschen lässt und auch mit außereuropäischen Ländern intensiv kooperiert. Hamm als Standort des einzigen HTRs der Welt, der über das Stadium eines Forschungsreaktors hinausgekommen ist, steht in der Verantwortung, seine umfangreichen Erfahrungen mit den Störfällen dieses Reaktortyps auch auf internationaler Ebene weiterzuvermitteln.
Anmerkung
Aktuelle Infos zur HTR-Forschung und Bau: http://www.reaktorpleite.de/thtr-rundbrief.html
Die Zeitschrift "FugE-News" erscheint in Hamm in einer Auflage von 3.000 Exemplaren: http://fuge-hamm.org/category/fuge-news/
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