Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 334, Dezember 2008
"Eine neue Anti-Atom-Bewegung anschieben"
Interview mit Horst Blume
Horst Blume (* 1954) ist Agrar-Ingenieur, seit 1987 Herausgeber des THTR-Rundbriefs (www.reaktorpleite.de), Mitherausgeber der Graswurzelrevolution und ein "Urgestein" der Anti-Atom-Bewegung. Er ist seit 1975 aktiv in der Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm. 1980 gründete er zusammen mit anderen Libertären den Schwarzen Faden, der als "Vierteljahresschrift für Lust und Freiheit" bis zur Einstellung im Juni 2004 (Nr. 77) zu den bundesweit einflussreichsten anarchistischen Zeitschriften gehörte. Während der Busfahrt zur Gorlebener Anti-Atom-Demo am 8. November 2008 bot sich die Gelegenheit zum Interview.
GWR: Wie kam es zur Gründung der BI Hamm?
Horst Blume: Ende 1971 war Baubeginn des Thoriumhochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm-Uentrop. Die Bürgerinitiative Hamm hat sich allerdings erst vier Jahre danach gegründet, 1975. Wir haben damals bei Mitautoren der Zeitschrift Graswurzelrevolution gelernt, was eine Bürgerinitiative (BI) ausmacht und wie sie arbeitet. Das war ein neues Phänomen, da mussten wir uns erst einarbeiten. Und informieren darüber, wie man überparteilich gewaltfrei direkte Aktionen durchführen kann und dass Atomkraftwerke in der Sowjetunion ebenfalls gefährlich sind.
Dies gehörte alles zu unserem Selbstverständnis. Wir haben zusammen mit gewaltfreien AktivistInnen auch aus Wyhl, unser großes Vorbild, die Bürgerinitiative gegründet.
Am Anfang war es in Hamm schwierig, weil viele Menschen noch nicht informiert und nicht so daran interessiert waren, etwas zu tun. Die meisten kümmerten sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten und waren schlecht ansprechbar. Das war die Ausgangslage.
GWR: Das war 1976?
Horst Blume: Genau. Wir haben erst mal das übliche Programm durchgeführt: Flugblätter, Leserbriefe, Artikel, kleine Zeitungen, kleine Aktionen, kleine Demonstrationen ... Damit sind wir angefangen und haben uns langsam hochgetastet zu Aktionen des Zivilen Ungehorsams: Stromgeldverweigerung, Besetzen von verschiedenen Örtlichkeiten und Blockaden.
GWR: Am 15. September 2008 hat das Internetportal der drittgrößten bundesweiten Zeitung Der Westen einen Artikel über dich veröffentlicht. Dort ist u.a. folgendes zu lesen: "Horst Blume ist kein ideologischer Eiferer. Eigentlich ist er ein besonnener Mann. Es ist die Angst, die ihn bis heute kämpfen lässt." Horst, ist das so, dass es "die Angst" ist, die dich kämpfen lässt? Oder ist da vielleicht noch etwas anderes, was dich motiviert für den Widerstand?
Horst Blume: Die Angst hat deutlich nachgelassen, seitdem der THTR 1989 abgeschaltet worden ist. Allerdings, als er noch in Betrieb war, da hatten wir wirklich Angst, weil das ein Pannen-Reaktor war, wo jede Woche irgendetwas passierte, irgendwo eine Schraube locker war, ein kleiner Störfall stattfand, Behälterkannen runterpurzelten oder Radioaktivität freigesetzt wurde. Da war immer was los. Wenn man dann ungefähr sieben Kilometer neben diesem Reaktor wohnte, hatte man Angst.
GWR: Also, sie spielte eine Rolle. Aber trotzdem, die Angst allein kann es ja nun nicht sein, was dich dazu bewegt, seit über 30 Jahren in der Anti-Atom-Bewegung aktiv zu sein und Widerstand zu leisten. Was ist deiner Meinung nach der Grund dafür, dass du so lange schon in den sozialen Bewegungen aktiv bist?
Horst Blume: Das ist aber eine Frage! Ich habe viele positive Erfahrungen gemacht während der politischen Arbeit, das ist die Erfahrung der Solidarität der Menschen, wenn sie kämpfen.
Es sind ja jetzt noch nicht alle Atomkraftwerke stillgelegt worden. In Hamm war es nur ein Reaktor, der besonders viele Pannen hatte. Es geht jetzt darum, alle anderen Atomkraftwerke auch still zu legen und dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Da möchte ich mich im Rahmen meiner Möglichkeiten nützlich machen.
Der THTR ist eine ganz spezielle Reaktorlinie, die in der EU, in Südafrika und in China wieder stärker gebaut werden soll. Da geht es darum, dass die Erfahrungen mit unserem alten THTR weitergegeben werden an neue Leute, an andere Initiativen, an andere Länder. Da verstehen wir uns auch als Informationsdrehscheibe weltweit für die Generation IV-Reaktoren und für die Hochtemperatur-Reaktorlinie.
GWR: Der THTR-Kühlturm war jahrelang auch das Symbol für die Stadt Hamm. Dann ist er 1991 gesprengt worden, nicht von "anarchistischen Bombenlegern", sondern von einem staatlich geprüftem Sprengmeister. Wir und viele andere Anti-Atom-Aktive haben zugeschaut und mit Sekt auf das THTR-Ende angestoßen. - Kannst du erzählen, was nach Tschernobyl 1986 war? Was ist da in Hamm-Uentrop passiert?
Horst Blume: Der Schock war groß, als wenige Tage nach der Katastrophe von Tschernobyl bekannt wurde, dass auch in Hamm-Uentrop ein Störfall stattfand und Radioaktivität entwichen ist.
Daraufhin war dann die Bevölkerung sehr betroffen, insbesondere die Landwirte. Die Bauern haben dann mit ihren Treckern die Zufahrtswege für den THTR blockiert. Sie sind mit einer friedlichen "Guerillataktik" immer wieder gekommen, wenn sie vertrieben wurden, und haben protestiert. Es wurde der Kühlturm besetzt, es wurde das Verwaltungsgebäude besetzt, es wurde das Ministerium in Düsseldorf besetzt, es wurde so ziemlich alles besetzt, was nicht niet- und nagelfest war. Das Ganze dann ungefähr drei, vier Jahre lang in verschiedenen Intervallen. Die vielen Störfälle, die Kosten treibenden Reparaturen, der klamme Staatshaushalt und unser Widerstand, das hat zusammengenommen dazu geführt, dass dieser THTR 1989 stillgelegt werden musste.
GWR: Herzlichen Glückwunsch. Dein Engagement und der Widerstand der Anti-Atom-Bewegung haben großen Anteil daran gehabt, dass er stillgelegt werden musste. Neben der Arbeit in der BI hast du auch andere Projekte mit angestoßen, z.B. den Schwarzen Faden, der mittlerweile leider eingestellt wurde. Kannst du erzählen, wie es 1980 zur Gründung dieser anarchistischen Vierteljahresschrift gekommen ist. Was war deine Motivation, da einzusteigen?
Horst Blume: Als Bürgerinitiativler ist man ja, wenn man es ernst nimmt, mehr oder weniger Anarchist. Umgekehrt sollte das meiner Meinung nach übrigens ebenfalls so sein. Mich hatte damals gestört, dass es in Deutschland keine Zeitschrift gibt, die über spektrenübergreifende Aspekte berichtet und diskutiert hat. Es gab die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen Union (FAU) zum Thema Gewerkschaften und Arbeitswelt, es gab die GraswurzlerInnen natürlich schon damals und es gab verschiedene andere Teilbereichsbewegungen und Teilsichtweisen, die aber nicht so sehr miteinander kommunizierten. Und das war meiner Meinung nach ein großes Manko. Das haben auch andere Leute aus Süddeutschland, aus Tübingen, Reutlingen, Frankfurt und Berlin so gesehen. Dann haben wir gesagt, "da wollen wir Abhilfe schaffen und ein Diskussionsforum initiieren".
Das war dann der Schwarze Faden. Wir wollten dazu kommen, diese Zeitschrift auch optisch ansprechend zu gestalten und möglichst viele Leute in die Diskussionen einzubinden, so dass man nicht mehr übereinander redete oder gar manchmal ja auch übereinander lästerte, sondern miteinander, so dass in dieser Zeitung die Diskussionen geführt werden konnten.
Der Anarchismus sollte in eine zeitgemäßere Form weiterentwickelt werden.
GWR: Seit Jahren arbeitest du im GWR-HerausgeberInnenkreis mit und bist auch bekannt als häufiger Autor von Artikeln. Wie siehst du die derzeitige Situation alternativer Medien wie der GWR oder auch anderer anarchistischer Blätter? Meinst du, da ist noch Bedarf nach der Einstellung des Fadens, dass noch etwas ähnliches entsteht? Oder können die GWR und die anarchosyndikalistische "direkte aktion" das abdecken?
Horst Blume: Ich denke, das kann die Graswurzelrevolution abdecken, denn auch darin stehen verschiedene Meinungen.
Was ich im Moment besonders positiv finde, ist, dass die Utopia entstanden ist, die Jugendzeitschrift, denn es ist ja so, dass der Anarchismus manchmal den Anschein erweckt, als ob das ein Altherrenclub geworden wäre. Da ist es wichtig, dass die Jüngeren ihr eigenes Sprachrohr entwickeln und damit an andere Leute herangehen können, an Gleichaltrige. Dass das dann im weitesten Sinne auch im Rahmen dieser Graswurzelrevolution passiert, ist unglaublich toll. Das berechtigt zu einigen Hoffnungen.
GWR: Das sehe ich auch so.
Wir sind auf dem Weg nach Gorleben. Gerade haben wir gehört, dass die Anti-Atom-Kletteraktivistin Cécile (vgl. nebenstehendes Interview) "vorbeugend" verhaftet worden ist. Sie soll die ganze Zeit des Atommülltransportes über nicht mehr aus dem Gefängnis entlassen werden. Wie schätzt du das ein? Meinst du, wir sollten jetzt nach Braunschweig fahren und dort vorm Knast demonstrieren?
Horst Blume: Na, ich glaube, das lässt sich nicht mehr umändern, weil die Routen feststehen. Die Leute wollen in Gorleben demonstrieren. Es ist sehr bedauerlich, dass Cécile festgesetzt wurde. Das ist undemokratisch.
GWR: Cécile hat sich über den Gleisen in die Seile gehängt und so Atomtransporte gestoppt, u.a. die, die aus Gronau nach Russland fahren sollten. Das hat soviel Druck hergestellt bzw. dazu beigetragen, dass die Urenco, Betreiberin u.a. der Urananreicherungsanlage in Gronau, angekündigt hat, ab 2009 keine Transporte mehr nach Russland zu machen, wo die Atommüllfässer bisher auf der grünen Wiese gelagert werden. Dieser Stopp ist ein Erfolg. Jetzt geht es darum, alle Transporte zu stoppen und erst wieder Ruhe zu geben, wenn alle Atomanlagen stillgelegt sind. Horst, du fährst nach Gorleben. Warum?
Horst Blume: Ich war seit 1981 nicht mehr da, gestehe ich ein, weil ich mich hier als alter "Lokalpatriot" erst einmal um Hamm kümmern musste, oder auch um Ahaus, wo die radioaktiven Brennelemente des THTRs liegen.
Jetzt denke ich, dass Gorleben unsere Solidarität dringend braucht. Es geht darum, die Renaissance der Atomkraftwerke zu verhindern. Es geht darum, dass die Laufzeiten nicht verlängert werden.
Ich denke, wenn wir jetzt hier an dieser Stelle richtig Druck machen und all unsere Energie auf diesen Punkt konzentrieren, dann können wir wirklich etwas erreichen. Dann können wir auch eine neue Anti-Atom-Bewegung anschieben, einen neuen Impuls setzen und ein Aufhorchen bewirken. Genau jetzt müssen wir etwas tun.
Interview: Bernd Drücke
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