Aus: "FUgE-News", 2016, Nr. 1 (Juli)
40 Jahre Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm
Die Voraussetzungen bei der Gründung der Bürgerinitiative Anfang 1976 waren denkbar schlecht. Der THTR war schon seit fünf Jahren im Bau. Bis zum Erörterungstermin für den zusätzlich geplanten Druckwasserreaktor in Hamm waren es nur noch wenige Tage. Die Genehmigungsbehörde gab den größtenteils jüngeren BI-Mitgliedern bei diesem Verfahren mehr als deutlich zu verstehen, dass hierbei zwar eine formale Beteiligung zugestanden wurde, aber keine faktische.
Es war erschreckend, wie wenig Einfluss wir als einfache Bürger auf den Gang der Ereignisse bei einer so gefährlichen Technologie wie der Atomkraft nehmen konnten. Bürgerinitiativen waren damals ein völlig neues Phänomen in der BRD und stießen auf heftige Ablehnung bei der Exekutive und bei fast allen maßgeblichen Mandatsträgern der Parteien, die oftmals über lukrative Aufsichtsratsposten Zuwendungen von den Vereinigten Elektrizitätswerken (VEW) erhielten. In den Medien fand fast ausschließlich Hofberichterstattung für die Energiekonzerne statt. Kritisches Informationsmaterial zum Thema Atomkraft gab es 1976 bis auf ein einziges Buch und ein paar vereinzelte Flugblätter nicht.
Was also tun? Sollten wir vier Jahre lang warten bis zur nächsten Bundestagswahl, um dann doch nur eine der drei atomfreundlichen Parteien ins Parlament wählen zu können? Oder aber wäre nicht eher die gewaltfreie Graswurzelbewegung eines Mahatma Gandhi oder Martin Luther King eine bessere Handlungsalternative? Gleich nach der Gründung unserer Initiative wurden wir Mitglied im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und lernten mit der Überparteilichkeit und Gewaltfreiheit nicht nur die Grundsätze dieser neuen Bewegung schätzen, sondern erhielten viele Anregungen für unsere Arbeit.
Aktionen und Erfahrungen
Schon während der ersten Monate nach der Gründung führten wir zusammen mit der Landjugend öffentliche Diskussionsveranstaltungen sowie ein Zeltlager und Kundgebungen mit einigen hundert Menschen in direkter Nähe zum THTR durch. Die eintägige Platzbesetzung vor dem im Bau befindlichen "Informationszentrum" der VEW planten und führten wir sehr erfolgreich nach gewaltfreien Methoden durch. Spezielle Flugblätter für Demonstranten, Polizei und Medien wurden verteilt, der Zaun gekappt und ein eigenes Informationszelt auf dem Platz aufgestellt. Die anwesenden Polizisten verspeisten verständnisvoll unsere Würstchen vom Grill. Die Lage war entspannt, das Medienecho enorm.
Der Bau des Druckwasserreaktors wurde aus finanziellen Gründen aufgegeben, die Inbetriebnahme des THTR rückte jedoch immer Näher. Während einer mehrjährigen Kampagne sammelten wir einhunderttausend DM, um gegen insgesamt 17 Teilerrichtungsgenehmigungen zu klagen. Wir erstritten einen gerichtlich angeordneten sechswöchigen Baustop und die Probleme beim THTR wurden verstärkt wahrgenommen. Es war also wichtig, auch diesen Weg zu gehen.
Die gewaltfreien Proteste stellten nur einen Bruchteil der Aktivitäten der BI-Mitglieder dar. Jeder konnte sich auf seine Weise einbringen und Leserbriefe schreiben, Plakate malen, Unterschriften sammeln, Resolutionen verfassen oder Bildungsarbeit in Parteien und Verbänden organisieren. In den 80er Jahren mieteten wir einen eigenen "Umweltladen" in einem Ladenlokal an der Brüderstraße als Treffpunkt an.
1985 fand der Erörterungstermin für den Katastrophenschutzplan des THTR's unter Beteiligung von 500 besorgten Bürgern in der Halle des Maxiparks statt. Während die haarsträubenden Vorschläge dieses Plans von den Behörden dargestellt wurden, klapperte als Begleitmusik unsererseits ein mitgebrachtes Skelett und ich betätigte dazu die Handsirene ...
Der Störfall im THTR
Als wenige Tage nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 auch der Störfall am THTR bekannt wurde und in Hamm deutlich erhöhte radioaktive Werte gemessen wurden, fanden in den drei folgenden Jahren viele Kundgebungen und Blockaden von Bürgern und Landwirten mit Treckern vor dem THTR statt. Die Menschenmenge vor dem Reaktor schwoll zeitweilig auf 7.000 Personen an und machte in teilweise drastischen Aktionen ihrem Ärger und ihrer Verzweiflung Luft, blieb aber immer gewaltfrei. Ein vielbeachteter dreitägiger Treckertreck durch das Ruhrgebiet nach Düsseldorf setzte die SPD-Landesregierung zusätzlich unter Druck.
In den zehn Jahren zuvor hatte die Bürgerinitiative Strukturen aufgebaut und intensive Öffentlichkeitsarbeit betrieben, was sich nun in einer breiten Beteiligug vieler Menschen auszahlte. Blockadeaktionen und Reaktorstillstände wegen weiterer Störfälle wechselten sich die nächsten Jahre ab. Finanzielle Probleme des Betreibers kamen hinzu. Auch in den sonst so THTR-freundlichen Parteien kippte die Stimmung. Nun ging es nur noch um die Frage, wie der THTR ohne allzugroßem Gesichtsverlust der Atomparteien und horrende Regressansprüche des Betreibers stillgelegt werden könnte.
Nachdem der THTR 1989 stillgelegt worden ist, war nach diesem tollen Erfolg bei vielen Aktivisten erst einmal die Luft raus. Aber schon 1992 musste der sogenannte Tritiumwasserstörfall im "Keller" des THTR kritisch hinterfragt werden. In den 90er Jahren fanden 59 Castortransporte mit den radioaktiven Brennelementekugeln aus dem THTR nach Ahaus statt. Auch hier arbeitete die BI mit den Initiativen im Münsterland zusammen und beteiligte sich an Demonstrationen in Ahaus und Münster.
THTR-Export geht weiter
Trotz der vielen Störfälle und Pleiten, die der THTR verursacht hatte, trieb das Forschungszentrum Jülich die Weiterentwicklung dieser Reaktorlinie auf EU-Ebene weiter voran und exportierte sogar unter rotgrünen Regierungen das Know how nach Südafrika und China. Ab 2003 setzten wir mit der Homepage Reaktorpleite.de der Exportoffensive der Atomkraftfreunde unsere Erfahrungen in Hamm und unsere Argumente entgegen und intensivierten unsere Kontakte nach Südafrika. Nachdem dort über eine Milliarde Dollar in die Entwicklung des THTR investiert worden sind, mussten die Vorbereitungen ergebnislos abgebrochen werden. Der THTR in China soll angeblich Ende 2017 in Betrieb gehen.
Der sogenannte Stilllegungsbetrieb des THTR in Hamm ist bis zum Jahr 2027 vorgesehen. Wie es danach weitergeht und ob er in absehbarer Zeit tatsächlich zurückgebaut wird, ist unklar. Über all diese Themen berichtet unser "THTR-Rundbrief" in bisher 146 Ausgaben auf 2.500 Seiten seit 29 Jahren. Es sieht nicht so aus, dass der BI in absehbarer Zeit die Themen ausgehen werden.
Anmerkungen
Hier sind noch vier weitere Artikel zur Geschichte der BI:
Sehr ausführlich und mit vielen Bildern: "Rückblick: 15 Jahre Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm" (1991)
"Zeltlager gegen KKW.Der Beginn des Widerstandes gegen den THTR Hamm" (1976)
http://www.machtvonunten.de/lokales-hamm/176-zeltlager-gegen-kkw.html
"Bürgeriniative Umweltschutz: 25 Jahre APO in Hamm" (2001)
http://www.machtvonunten.de/lokales-hamm/195-buergeriniative-umweltschutz-25-jahre-apo-in-hamm.html
... und natürlich auf der Homepage der BI Hamm: "Die Geschichte des Widerstandes gegen den THTR":
http://www.reaktorpleite.de/geschichte-der-bi-in-hamm.html
zurück zur Übersicht - Lokales aus Hamm