Nationalismus, Rechte, Neoliberale
Aus: Schwarzer Faden, Nr. 9, 4/1982
Nationalrevolutionäre aus anarchistischer Sicht
Wenn es in den letzten Jahren um Umweltschutz- oder Friedenspolitik ging, tauchte in den Diskussionen unter den Linken immer häufiger der Hinweis auf die Nationalrevolutionäre (NR) auf, ohne daß eine genauere Vorstellung darüber bestand, welche engumrissene Gruppe damit gemeint ist, was sich Letztenendes hinter dem Streben nach "nationaler Identität" für ein Politikverständnis verbirgt und wie man dieses Phänomen nun beurteilen soll.
Bei den Anarchisten ist die Situation heute nicht anders. Dabei hat es vor 1933 zwischen Nationalrevolutionären und Anarchisten gemeinsame Diskussionen gegeben und auch jetzt beziehen sich stellenweise Angehörige der beiden Richtungen in inhaltlichen Fragen aufeinander und arbeiten in der Werbung für Bücher und Zeitschriften zusammen.
I. Rückblick
Ende der 20er Jahre, wo ein starker Aufschwung der NSDAP zu verzeichnen war, passte sich die KPD der nationalen Euphorie an, um die Anhänger eines wie auch immer gearteten "nationalen Sozialismus" auf ihre Seite zu ziehen. Die Nationalrevolutionäre um Niekisch kamen verstärkt ins Gerede und von der NSDAP lösten sich einige "linke" Gruppierungen unter der Führung von Strasser ab.
Das Verhalten der KPD stieß bei den Anarchisten auf wenig Gegenliebe: Statt die nationalen Revolutionäre zum eigenen Internationalismus zu gewinnen, statt kameradschaftlich und sachlich sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie von ihren Rassenvorurteilen, ihrer Kriegsromantik, ihrem Nationalismus abzubringen zur Erkenntnis der allen Ausgebeuteten gleichen Klassenlage, die über die Grenzen weg gemeinsamen Kampf gegen die Unterdrückung verlangt, übernimmt die KPD im Gegenteil den ganzen nationalistischen Wortschatz der Hakenkreuzler und präsentiert sich damit einfach den Strasserfreunden als allein legitimierte Erbin des Hitlervermächmisses. (1)
Die Anarchisten hielten nichts von den rüden Methoden, denen sich KPD und NSDAP bedienten um sich gegenseitig zu bekämpfen, sondern setzten vielmehr auf die geistige Auseinandersetzung mit allen Gruppen guten Willens. So fand am 20.11.1930 in Berlin eine überfüllte Diskussionsveranstaltung zwischen dem "Kampfbund Revolutionärer Nationalsozialisten" und der "Anarchistischen Vereinigung Berlin" unter der Leitung von Erich Mühsam statt. Die Referenten Otto Straßer auf der einen und Rudolf Rocker auf der anderen Seite stellten ohne gegenseitige Zugeständnisse ihre Auffassungen vor. Der geistige Schlagabtausch fand ohne Gehässigkeiten statt und wurde von Erich Mühsam als vorbildlich angesehen (2). Eine zweite gemeinsame Veranstaltung kam ebenfalls noch zustande.
Die auffällig schnelle Wandlung einiger Personen von dem extremen Nationalismus zum "nationalen Revolutionär" erfüllte allerdings viele Anarchisten mit Skepsis. So fragt Erich Mühsam berechtigterweise nach den Hintergründen, die zu dem Übertritt des nationalsozialistischen Reichswehrleutnants Scheringer (heute im DKP-Bundesvorstand) zur nationalistischen KPD geführt haben:
»Wäre der nationalistische Offizier auch für die KPD zu gewinnen gewesen, wenn dort nicht seit dem Wahlaufruf vom letzten Sommer anstelle der früheren Bekenntnisse zur Weltrevolution die Parole der "nationalen" Revolution getreten wäre? Wäre der junge Scheringer auch für Klassenaktionen zu gewinnen gewesen, die neuerdings bei der KPD durch Aufrufe zur "Volks"aktion abgelöst sind? Hätte er das schneidige Linksum-Kehrt fertig gebracht, wenn er nicht die Rote Fahne von oben bis unten mit militärischen Ausdrücken bestückt sähe? (...) Die Radikalnationalisten um Otto Straßer, Niekisch, Paetel, Jünger stellten längst fest, daß die Kommunisten sich ihres Streitrosses bemächtigt haben. Kein Zweifel, daß sich das rotumsäumte Sattelzeug hübsch ausnimmt, und kein Wunder, daß es diesselben Reiter zum Aufsitzen reizt, die es ohnehin eingeritten haben. Nicht der nationalistische Oflizier ist zu den Kommunisten gekommen, sondern die Kommunisten sind ihm entgegengereist.« (3)
Die Beziehungen zwischen NR und Anarchisten erfuhren in der Folgezeit keine sonderliche Weiterentwicklung mehr, da die Anarchisten sich als Multiplikator für nationalistische Propaganda zu schade waren und die NR erkennen mußten, daß bei den Anarchisten für sie nicht viel zu holen war: »Wir wollen uns gern mit den revolutionären Kräften auch in der nationalistischen Bewegung unterhalten. Aber wir wollen dabei nicht ihre Ideen vertreten, sondern unsere.« (4)
ll. Die neuere Entwicklung
In den 60er und 70er Jahren existierten weitgehend abseits von der großen Medienöffentlichkeit kleinere NR-Zirkel, die sich um verschiedene Zeitungen gruppíerten. Auch in der heute 27 Jahre alten seriös-neutralistischen "Neue Politik" hatten NR eine Möglichkeit gefunden, ihre Ansichten darzulegen. Die seit 1975 in München herausgegebene "Neue Zeit" markiert einen neuen Abschnitt in der Entwicklung der bis dahin noch ziemlich rechtslastigen NR, weil sich in ihr erste ernstzunehmende, sich als links verstehende Strömungen durchzusetzen beginnen.
Im Dezember 1979 wurde mit "Wir selbst - Zeitschrift für nationale Identität" das heute nach eigenen Angaben mit 7000 Exemplaren weitverbreiteste Publikationsorgan der "linken" NR gegründet. "Wir wollen die Neuschaffung eines unabhängigen, geeinten Deutschlands in einem Europa freier Völker und kämpfen für den weltweiten Befreiungsnationalismus", heißt es in der Selbstverständniserklärung der Redaktion und sie glaubt folgende "Einzelforderungen" in einen Gesamtzusammenhang stellen zu müssen (Fünffache Revolution): "Ethnopluralismus, ökologische Lebensgestaltung, humaner Sozialismus, dezentrale Wirtschaftsordnung, kulturelle Erneuerung, Basisdemokratie." Die auch an Kiosken Vertriebene Zeitschrift bezieht sich stark auf die Ökologiebewegung, den Regionalismus, die Befreiungsbewegungen (ETA, IRA) und versucht - teilweise mit Erfolg - auf die Grünen einzuwirken.
Die mit 500 Exemplaren in Düsseldorf erscheinende "Laser - nationalrevolutionäre Perspektiven für eine sozialistische Demokratie" hat mit ihrem z.T. auf hohem Niveau geschriebenen Beiträgen zur Selbstfindung der linken NR beigetragen. Gewissermaßen als Nachfolgepublikation von "Laser" erschien Ende 1981 die Vierteljahresschrift "Aufbruch - Beiträge zur nationalrevolutionären Politik" in Menden/Sauerland. [Nicht zu verwechseln mit der neonazistischen Zeitung "Aufbruch von den "VoIkssozialisten", deren Nullnummer im Verfassungsschutzbericht abgebildet war, was den Redakteuren der "Antiimp"-Zeitschriften "Große Freiheit" und "Regenbogen" als Quelle diente, um den SF zu beschuldigen, neonazistischen Gnuppen ein Diskussionsforum zu geben.] Die verbalradikalen Adjektive, die sich der (NR-) "Aufbruch" in den bisher 4 Nummern zugelegt hat (konsequent linksradikal, konsequent rätedemokratisch, radikal - nicht pazifistisch, konsequent antiimperialistisch) zeigen, daß die Redaktion auf dem Weg ist, im Eiltempo die zahlreichen (Irr-) wege der alten Linken nachzuholen. Die hinter dem "Aufbruch" stehenden Leute haben in der 1981 erstellten "Nationalrevolutionären Plattform" ihre Ziele folgendermaßen definiert:
- Für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, für die Befreiung von wirtschaftlicher, kultureller und politischer Fremdbestimmung, für die staatliche Unabhängigkeit und Einheit der Nation.
- Für einen Sozialismus des eigenen nationalen Weges, gegen ökonomische Abhängigkeit, Liberal- und Staatskapiatalismus, gegen Konzerne und Bürokratien.
- Für Menschenrechte und Demokratie, gegen Folter, Todesstrafe und Diktatur.
- Für kulturelle Selbstbehauptung, gegen Kulturimperialismus und Überfremdung.
III. Nationalismus - Kein Indikator für freiheitlíche Bestrebungen
Um zu beweisen, daß die nationale Frage - das Streben nach nationaler Befreiung und Selbstbestimmung des Volkes - sich tendenziell gegen die bestehende Gesellschaftsordnung richtet, griffen verschiedene Autoren von »Wir selbst« auf die Freiheitskriege gegen Napoleon zurück. Die nicht gerade bescheidene Behauptung, daß die heutigen NR es sind, »die als einzige in Deutschland diesen Kampf in seiner Gesamtheit, d.h. ohne Verengung auf einzelne Teilaspekte, führen und damit das Erbe des Vormärz und der Märzrevolution angetreten haben« (5) verdient genauer durchleuchtet zu werden.
In der »Aufarbeitung der revolutionären Kulturtradition des deutschen Volkes« sehen sie eine wichtige Waffe im Kampf gegen diese Entfremdung und Manipulation" (6). Ein besonders starkes Stück leistete sich Henning Eichberg (u. a. Mitarbeiter an »Unter dem Pflaster liegt der Strand«), der uns weismachen will, daß der "Turnvater" Ludwig Jahn in den Jahren 1810 - 1819 einen »neuen, alternativen Lebensstil« in Deutschland erweckt habe und somit "ein Grüner, ein Aufrührer, ein NR" sei. In dem Kampf Jahns und seiner Burschenschaften gegen die napoleonische »Supermacht« (... schon mal gehört?) sieht er »eine Praxis, in der sich nationale Befreiung, demokratische Selbstbestimmung, gesellschaftliche Veränderung und neuer jugendlicher Lebensstil miteinunder verbanden.« "Wenn auch Eichberg nebenbei zugestehen muß, daß Jahn fremdenfeindlich eingestellt war und nicht gerade zu den schärftsten und klarsten Denkern gehört hat, so kommt es ihm umsomehr auf die Herausarbeitung des vemeindlichen "Hauptwiderspruchs" an: "Volk und Volkstum" standen gegen die Herrschaft der (napoleonischen) Supermacht und gegen deren Kollaborateure ...«(9)
An anderer Stelle ist es für Siegfried Bublies sonnenklar, daß "der aufkommende nationale Enthusiasmus nichts von jener chauvinistischen Großmannssucht enthielt, die die nationale Idee später pervertierte."
Hier sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir als Anarchisten energisch widersprechen müssen. Rudolf Rocker hat in seinem Hauptwerk »Nationalismus und Kultur« nachgewiesen, daß der Nationalismus in allen seinen Erscheinungsformen immer nur zur Verengung des geistigen Blickfeldes führt und damit gefährliche Entwicklungen heraufbeschwört. So auch bei den Romantikern zu Beginn des 18. Jahrhunderts:
»Bei den meisten dieser Männer gelangte die nationalistische Idee zu ihrem folgerichtigen Abschluß: Sie hatte begonnen als lockere Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat und mit der poetischen Verklärung der deutschen Vergangenheit; danach kam ihren Trägern der Gedanke an die große historische Sendung der Deutschen; man stellte Vergleiche an zwischen dem eigenen Volk und anderen Völkern und verbrauchte zur Ausmalung der eigenen Vorzüge so viel Farbe, daß für die anderen kaum noch etwas übrigblieb. Das Ende war ein wilder Franzosenhaß und eine blöde Deutschtümelei, die häufig an Unzurechnungsfähigkeit grenzte.« (10)
Rudolf Rockers Urteil über "Turnvater" Jahn fällt in seinem Werk wenig schmeichelhaft aus: "Ludwig Jahn, der nach Fichtes Tod der geistige Führer der deutschen Jugend wurde, den sie abgöttisch verehrte, trieb die Franzosenfresserei und die nationale Verschrobenheit so weit, daß er selbst vielen seiner patriotischen Mitkämpfern auf die Nerven ging. (...) Liest man die Lebensgeschichte dieses seltsamen Heiligen, so erhält man den Eindruck, in dem "Alten mit dem Barte" einen frühen Vorläufer der modernen Hitlerei vor sich zu haben." (11)
Mit einer solchen Einschätzung befindet er sich im Einvernehmen mit den wirklich freiheitlichen Geistern jener Zeit, die Heinrich Heine wohl am ehesten mitrepäsentiert: »Da sehen wir nun das idealistische Flegeltum, das Herr Jahn in System gebracht; es begann als die schäbige, plumpe, ungewaschene Opposition gegen eine Gesinnung, die eben das Herrlichste und Heiligste ist was Deutschland hervorgebracht hat, nämlich jene Humanität, gegen jene allgemeine Menschenverbrüderung, gegen jenen Kosmopolismus, dem unsere großen Geister: Lessing, Herder, Schiller, Goethe, Jean Paul, dem alle Gebildeten immer gehuldigt haben.« (12)
Die von Eichberg beschworene »jugendliche Subkultur«, die damals in Verbindung mit dem "Volk" zu neuen Ufern aufgebrochen sein soll, erscheint bei näherem Hinsehen mehr als fragwürdig: »Ihr christlich-germanischer Mystizismus, ihre groteske Abwehr gegen alles, was sie "fremdes Wesen" und "fremden Geist" nannten, ihre judenfeindlichen Bestrebungen, die in Deutschland von alters her zum Erbgut aller reaktionären Ideengänge gehörten, und die allgemeine Verschwommenheit ihrer Ansichten, das alles machte sie zu Vertretern eines mystischen Glaubens, in dem sich Bestandteile der verschiedensten Auffassungen in bunter Mischung zusammenfanden, aber sicher nicht zu Bannerträgern einer neuen Zukunft.« (13)
Das Problem des Mißbrauchs nationaler Stimmungen versuchen die NR theoretisch in den Griff zu bekommen, indem sie die dem Volke dienenden als die wahren guten Bestrebungen deklarieren und die chauvinistischen mechanisch als Pervertierung abtun. Mit einer solchen Verklärung des Begriffs "Nation" werden sie dem Problem in keinster Weise gerecht, sodaß er als charakteristisches Merkmal zur Beschreibung revolutionärer Bestrebungen untauglich ist: Jede Nation umfaßt verschiedene Klassen, Stände und Parteien, die nicht nur ihre besonderen Interessen verfolgen, sondern sich häufig in ausgesprochener Feindschaft gegenüberstehen und deswegen auch nicht als nationale Befreiungsbewegung subsummiert werden können.
Denn auch wenn es Ereignisse in nationalen Staaten gibt, die von allen Gliedern als ihr Schicksal empfunden werden, so ist die Art des Empfindens sehr verschieden und wird vielfach bestimmt durch die Rolle, welche die eine oder andere Partei oder Klasse in den Ereignissen spielt. Wie unzuverlässig das Nationalbewußtsein als Indikator für eine freiheitliche Entwicklung ist, soll die folgende historische Rückschau - eine Zusammenfassung von Prof. Dr. Arno Klönnes Aufsatz "Zur Geschichte des Nationalbewußtseins und zu den Bedingungen des neuen Nationalismus in der BRD" (14) zeigen:
1. Der sich nach dem Absolutismus vollziehende Strukturwandel beruht nicht auf dem Bewußtwerden immer schon gegebener nationaler Zusammengehörigkeit, sondern zunächst auf einer durch ökonomische und soziale Probleme hervorgerufenen, herrschaftstechnischen Veränderung. Die Herausbildung des modernen Staates ist nicht etwa die Folge, sondern die Entstehungsursache der Nationen und des Nationalbewußtseins. Zuerst ist der Staat da, dann entwickelt sich das, was wir Nation nennen.
2. Das widerspruchsvolle Verhältnis der Bürger dieser Staaten äußert sich darin, daß einerseits die Herrschaftsstruktur dem Bedürfnis nach Berechenbarkeit im wirtschaftlichen Bereich nachkam, andererseits die absolutistische Regie des Staates nicht in ihrem Sinne war. Diese Ablehnung absolutistischer Machtansprüche - auch von anderen Staaten ausgehend - führt nicht zwangsläufig zur Mißachtung anderer Nationen, sondern kann den Wunsch nach bürgerlichen Freiheiten auch für andere Staaten ausdrücken.
3. Die bürgerlich-demokratische Ausfüllung des Begriffes der Nation kam in Deutschland gar nicht erst zu Erfolg, da die feudale Kleinstaaterei als Ergebnis eine »verspätete Nation« hatte und das deutsche Bürgertum sich folglich an den revolutionären Impulsen anderer Länder nicht orientieren konnte.
4. Die historische Konstellation der Befreiungskriege brachte es mit sich, daß der Kampf für nationale Unabhängigkeit gleichzeitig als Kampf gegen die Ideen der Französischen Revolution erschien und damit in die Regie nicht des Bürgertums, sondem des Obrigkeitsstaates geriet.
5. Im Höhepunkt des bürgerlichen Versuchs zur Revolution 1848 meldet sich als nächste Klasse bereits die Arbeiterschaft mit ihren revolutionären Wünschen an. Die ebenfalls verspätete Industrialisierung in Deutschland nahm explosiven Charakter an und vollzog sich in den ideologischen Traditionen des Obrigkeitsstaates.
6. Industrieller Aufstieg wurde vom deutschen Bürgertum nicht als eigene gegen die Widerstände feudaler Schichten erkämpfte Leistung, sondern eher als Gabe des feudalen Staates empfunden. Das Bedürfnis nach Kompensation für den Mangel an politischem Selbstbewußtsein und politischer Herrschaft fand Befriedigung in einem militanten Überlegenheitsgefühl des Völkisch-Deutschen gegenüber der westlichen Zivilisation.
7. Das Kleinbürgertum, welches in den 70er Jahren von der wirtschaftlichen Konzentration einerseits und von dem anwachsenden Proletariat andererseits in seiner Stellung bedroht war, fand seinen Ausweg in einer »Verlagerung des Klassenkampfes nach außen«, deren ideologische Rechtfertigung völkische Überlegenheitsgefühle boten.
IV. Idealisierung der Befreiungsbewegungen
Die Idealisierung der Nation führt bei den NR folgerichtig zu einer allzu unkritischen Parteinahme für nationalistische Befreiungsbewegungen: »Die NR sind solidarisch mit den befreiungsnationalistischen und antiimperialistischen Bewegungen aller Welt. Insbesondere begrüßen und unterstützten sie den Kampf der Völker.... gegen das neokolonialistische Hegemoniestreben der beiden Supermächte USA und UdSSR.« (15)
Unter der Rubrik "weltweiter Befreiungskampf" in "Wir selbst" wird allen möglichen Befreiungsbewegungen Beifall gezollt, sofern in ihnen "Sozialismus" und Nationalismus eine wie auch immer geartete Verbindung eingehen. Auch wenn des öfteren von "Basisdemokratie" geschrieben wird, so fehlen bei den NR eindeutige Kriterien, an denen das Verhalten der Befreiungsbewegungen gemessen wird. Präsentieren sie in dem einen Fall die gewaltfreie Aktion als einzig glaubwürdiges Mittel der "Befreiung", so ist ihnen in zahlreichen anderen Fällen die Ebene der militärischen Auseinandersetzung (sogar in Europa) gerade recht. Die NR verschließen vor der Tatsache die Augen, daß Teile der Befreiungsbewegungen ein neues Abbild derjenigen Staaten sind, die sie zu bekämpfen vorgeben:
Marxistisches Avantgardedenken, autoritärer Organisationsaufbau und der Ruf nach einem eigenen Staat vorprogrammieren Absolutismus und Despotie einer neuen Schicht, wenn dieser "Befreiungskampf" sein Ziel erreichen sollte. Die auch von nationalistischen Befreiungsbewegungen mitbetriebene Dämonisierung der gegnerischen Gruppen steht einer auf gegenseitigem Austausch bedachten Föderation von gleichberechtigten Gruppen direkt entgegen.
Der den Anarchisten sehr nahestehende Albert Camus sah während des Algerienkonfliktes in den 50er Jahren gerade in »diesen nationalistischen und im wahren Sinn des Wortes imperialistischen Ansprüchen des arabischen Aufstandes "unannehmbare Aspekte": "So wohlwollend man den arabischen Ansprüchen auch gegenüberstehen mag, so muß man doch zugeben, daß im Falle Algeriens die nationale Unabhängigkeit ein rein von der Leidenschaft bedingtes Schlagwort ist. Es hat noch nie eine algerische Nation gegeben. Die Juden, die Türken, die Griechen, die Italiener, die Berber hätten ebenso das Recht, die Führung dieser virtuellen (= scheinbaren) Nation zu beanspruchen." (17)
Da heute der "einheitliche Volkscharakter" von größeren Regionen durch Arbeitsemigranten etc. immer mehr im Entschwinden ist, besteht zwischen den verschiedenen Menschengruppen ohnehin die Notwendigkeit der Zusammenarbeit. Es ist die Frage, warum die NR trotzdem das "Anderssein" - also die Trennung - und nicht wie Camus die Vereinigung als sinnvoll empfinden? Die Konsequenzen aus dieser Unfähigkeit hat er 1955 formuliert und sie beherrschen heute immer noch die Wirklichkeit: "Gezwungen, miteinander zu leben, und unfähig, eins zu werden, beschließen sie, wenigstens zusammen zu sterben." (18)
V. Revolutionäre Blockfreiheit?
Für eine Vereinigung besonderer Art plädieren die NR dort, wo sie jede Menge hochexplosiven Sprengstoff mitbringt: »Die deutschen Teilstaaten BRD, DDR und Österreich (?!) sind das Ergebnis imperialistischer Politik der Besatzungsmächte nach dem zweiten Weltkrieg. Sie sind unter Mißachtung des Selbstbestimmungsrechts unseres Volkes geschaffen worden und sind im Zuge des nationalen Befreiungskampfes auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu überwinden.« (19)
Da die Umstellung der Armeen auf soziale Verteidigung sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nimmt, führt »die Zerschlagung der Blockmilitarismen in lauter kleine National- oder auch größere Kontinentalmilitarismen (...) zu einer erheblichen Verlängerung der Konflikt- und damit potentiellen Kriegsfronten. Aufrüstung ist die höchstwahrscheinliche Folge von Abkopplung, bei Mittel- und Großmächten steht sogar die eigene Nuklearrürtung ins Haus. Das Ausscheren Frankreichs aus dem westlichen Block und Chinas aus dem östlichen Block war unmittelbar mit der nuklearen Aufrüstung verknüpft. In Japan gehen Nuklearrüster und Neutralismus eine enge Verknüpfung ein.« (20)
Die von den NR genährte Vorstellung nur ihre »revolutionäre Blockfreiheit« eines vereinten Deutschlands würde wirklich den Frieden in Europa sichern, erweist sich als gefährliche Illusion, da ihr volksgemeinschaftliches Politikverständnis völlig außer acht läßt, daß Interessengruppen anderer Länder eine Wiedervereinigung als bedrohlich empfinden würden und die Vertiefung der gegenseitigen Widersprüche zur Folge hätte. Der von den NR propagierte »Kampf um die Wiederherstellung einer klassenbewußten gesamtdeutschen Arbeiterbewegung« (21) stellt keinen Wert an sich dar, sondern die emanzipatorischen Inhalte einer Bewegung bewirken eine freiheitlich-sozialistische Praxis.
Die im Gegensatz zu den "Supermächten" gemeinte "Balkanisierung für Jedermann" (Eichberg) trägt nebenbei auch noch Züge eines Kulturkampfes. Mit Vorliebe wettern diese Gralshüter der nationalen Volkskultur gegen die kulturlosen Barbaren aus den USA. Da sie in ihrer selbstauferlegten Verengung des Blickfeldes nur die schlimmsten Auswüchse des »american way of life« wahrnehmen, gibt es für sie eine sozialistische Bewegung dort schlichtweg nicht! Nun, sie existiert in den USA in dem gleichen Maße, wie es hier der Fall ist und es besteht kein Grund, überhebliche Vergleiche anzustellen.
Vl. Wird mir's weh ums Herz: Heimat und Regionalismus
Im Kampf gegen "Vermassung, Vereinsamung, kulturelle Verflachung, Zerstörung der Volkskulturen, die Vernichtung sozialer Bindungen und Normen durch die Konsumideologie" sehen die NR das Aufleben der Regionen und das Erwachen eines neuen Heimatgefühls als sehr begrüßenswerte Erscheinungen an, die in ihrer Publizistik ausführlich gewürdigt werden. Innerhalb der undogmatischen Linken erreichte die "Regionalismuswelle" vor zwei Jahren ihren Höhepunkt. Ihre Zeitungen waren voll mit euphorischen Berichten über die neue "Wunderwaffe", denn »nachdem sich Hoffnungen, über andere Fragen die gesellschaftlichen Verhältnisse 'zum Tanzen zu bringen', nicht erfüllten, erscheint nun die nationale Frage« als eine neue Chance politischer Mobilität oder Mobilisierung, als emotionales Vehikel für eine Bewegung nach links hin. « (24)
"Indem die NR die Regionalismus-Problematik aufgriffen, erschienen sie verständlicherweise vielen Linken glaubwürdiger und konnten so ihre Isolation teilweise aufbrechen. Es gab jedoch nicht nur euphorische Anteilnahme oder Ablehnung an den regionalen Bewegungen, sondern eine Schwachstellen und Möglichkeiten aufzeigende: "Genauso, wie sich bei der Bestimmung sozialistischer Strategien der bornierte Bezug auf die unmittelbar vorgefundenen 'nationalen' Bedingungen stets verheerend ausgewirkt hat, werden Regionalismen, die sich allein auf ihre vorgebliche Ethnizität berufen, nur allzu leicht von den Herrschaftsapparaten in den Zentren und deren regionalen Repräsentanten funktionalisiert und ihres herrschaftskritischen Potentials beraubt werden." (25)
Die Euphorie der Linken, in der Vergangenheit auch noch durch die oberflächliche Regionalismusreihe vom Trikont Verlag München gefördert, wich allmählich einer realistischen Betrachtungsweise, wie sie in dem taz-Artikel »Gegen den okzitanischen Mythos« (15. 3. 1982) zum Ausdruck kommt. Die Betonung des "Volkstums" bei regionalistischen Bewegungen halte ich für verfehlt, da insbesondere die sozialen Kämpfe Wellen in Bewegung gesetzt haben, die der nationale oder regionalistische Gemeinschaftsgeist aus sich selbst nicht vollbringen konnten.
In der wohl genauesten Studie, die in deutscher Sprache über eine europäische Regionalbewegung geschrieben worden ist, belegt Wolfgang Hertle diese These in seinem Buch: »Larzac«. Die okzitanisch-regionalistischen Ideen blieben nur ein Element für die Politisierung und Radikalisierung der Bauern und wurden, zumindest teilweise, in ihr gewaltfrei-ökologisch-linkssozialistisches Bewußtsein eingeschmolzen. (...) Auch nachdem sie ihrer eigenen Zeitschrift den okzitanischen Titel "Gardem Lo Larzac" gegeben hatten, ließ sich die Bauernbewegung von den Okzitanisten ebensowenig vereinnahmen wie von allen anderen sie unterstützenden Gruppierungen." (26)
»Ein unabhängiges Friesland, ein Freistaat der Alemannen, ein Freies Franken, ein sozialistisches Sachsen oder ein Republik Tirol??« (Eichberg) - Die regionalistischen Bewegungen in Deutschland sind so blaß und schwächlich, daß man ihren Propagandisten jeglichen Realitätssinn absprechen muß, wenn auch unter bestimmten Bedingungen in einigen anderen Ländern der Regionalismus eine Rolle spielen könnte.
VII. Nationalismus - und sonst noch was?
Wie stellen sich aber die NR die Zukunft in der BRD vor, wenn hier der »Ethnopluralismus« keine Grundlage haben kann? Fällt das errichtete Theoriegebäude in sich zusammen, wenn ein Stützpfeiler der »fünffachen Revolution« fehlt? Sind die restlichen Stützpfeiler stark genug ausgeprägt, sodaß sie standhalten? Oder aber haben sie - wie es in ihrer Plattform der Fall ist - die für eine soziale Emanzipation wichtigen Elemente nur in einer summarischen Aufzählung aneinandergereiht und nicht in ihrer geistigen Tiefe erfaßt?
Da nationale Identität und Entfremdung Ausgangspunkt der NR-Überlegungen sind, befindet sich die Auseinandersetzung mit sozialistischen Gesellschaftsmodellen noch in den Kinderschuhen und die ersten Gehversuche stimmen nicht sehr zuversichtlich. Die von »Wir selbst« 1980 geführte Sozialismusdiskussion beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Marxismus. Sie machen es sich dabei sehr einfach, indem sie die Rosinen aus dem Sauerteig holen: Die Kapitalismusanalyse von Marx wird in ihrer Methode übernommen, das Marxistische Menschenbild abgelehnt, gegen die sozialistischen Staaten wird ordentlich geschimpft und die besondere Rolle des Befreiungsnationalismus bei jeder sich bietenden Gelegenheit eingeflochten. Marxist, Nichtmarxist und Nationalist werden von dieser "Theorie" gleichermaßen gut bedient und können sich das Passende heraussuchen.
In der Vergangenheit hat es sich immer wieder gezeigt, daß nur diejenigen Bewegungen, welche sich lange Zeit mit der Konkretisierung von sozialistischen Gesellschaftsentwürfen produktiv auseinandergesetzt haben, später in der Lage waren, diese in die Wirklichkeit umzusetzen (siehe z. B. in Spanien).
Viel zu wenig befassen sich die NR mit den Problemen der wirtschaftlichen Koordination in einer freiheitlichen Gesellschaft. In völlig unzureichendem Maße wird der Frage nachgegangen, wie die zu schaffenden ökonomischen Verhältnisse aussehen sollen und welche Vorbedingungen hierfür notwendig sind. Sieht man einmal von Berichten über Libyen, einigen mittelmäßig gelungenen Nacherzählungen von Ota Sik's Hauptgedanken oder kurzen Darstellungen der Landkommunenbewegung und des Frühsozialismus ab, herrscht gähnende Leere.
Die wirklich revolutionären Gedanken wie Selbstverwaltung und antiautoritäre Organisationsformen kommen nicht von den NR selbst. Ihrer teilweise recht unbeholfenen Aufarbeitung ist es deutlich anzumerken, daß sie erst nachträglich beigeordnet worden sind und der tatsächliche Bewußtseinsstand der NR hinter den aufgestellten Postulaten noch hinterherhinkt.
Meinen die NR, sie könnten sich der von ach so argen Selbstzweifeln geplagten undogmatischen Linken als diejenige ideologische Klammer empfehlen, welche alle "Zerrissenheit" aufhebt, so zeigt die aus lauter Mosaiksteinchen zusammengesetzte NR-Plattform, daß dazu schlicht die Substanz fehlt. Offenbar benutzen die NR ihre ganze Kraft dazu, sich auf publizistischer Ebene ins Gerede zu bringen und die Frage nach der "nationalen Identität" in andere Organisationen (z. B. Grüne) zu tragen. Besonders unter der Rubrik "Die nationale Frage im literarischen Aufwind" von »Wir selbst« wird jedesmal laut aufgejubelt und werden wohlgefällige Kommentare abgegeben, wenn irgendeine linke Zeitung in einem Artikel den Sinn der nationalen Frage erkannt zu haben glaubt. - Wären diese nationalen Identitätsarbeiter doch genauso eifrig in der praktischen Basisarbeit!
Die Aussagen von politischen Gruppen sollten danach bewertet werden, wie ihre Mitglieder die von ihnen erstrebte Gesellschaft vorleben und ob sie auch den Erkenntnissen, die sie in der Theorie erarbeitet haben, praktische Konsequenzen folgen lassen. Es soll hier nicht bestritten werden, daß vereinzelt NR in Bürgerinitiativen mitarbeiten. Aber wo gibt es denn Genossenschaften, selbstverwaltete Werkstätten oder andere Gemeinschaften, die sich explizit als NR verstehen und so eine Vorstellung davon vermitteln, was die Verbindung von nationaler Identität und gelebtem Sozialismus zuwege bringen kann und was das ganz konkret überprüfbar bedeutet??
Bisher haben sich die NR lediglich auf alternative Projekte berufen, sie in ihr theoretisches Konzept einbezogen, indem sie ihre Vorstellung von nationaler Identität hineininterpretiert und sich zu deren Sachverwaltern emporgeschwungen haben. Wenn die NR so sehr von der Wichtigkeit der Arbeit in den Regionen überzeugt sind, warum unterstützen sie sie nicht mit fundiertem praktisch verwertbarem Material, wie es z.B. der "Provinz-Film-Katalog" der AG SPAK tut?
VIII. Bismarxismus
Besonders die Zeitschrift »Aufbruch« nimmt für sich in Anspruch, gewisse positive Elemente der alten marxistisch-leninistischen Bewegung verarbeitet zu haben und gibt sich besonders radikal. Die in den bisherigen Ausgaben in einer unglaublichen Dichte vorkommenden Phrasen und Kampfbegriffe machen mich stutzig: "rotlackierte Faschisten der DKP, äußerste Härte und Ausdauer, sozialfaschistische Bürokratendiktatur in Moskau, kleinbürgerlicher Reformismus, von den Herrschenden direkt oder indirekt gelenkt, usw."
Diese niveaulosen verbalen Kraftmeiereien gehören seit fast 15 Jahren zu den geistlosesten Erscheinungen der ML-Bewegung und sind nicht das Papier wert, auf denen sie geschrieben sind. Eine Ursache für dieses Verhalten liegt darin, daß die Aufbruch-Redakteure meinen, so am besten den Vorwurf des Rechtsradikalismus entkräften zu können. Es ist aber nicht zu verkennnen, daß sich hinter der Verwendung solcher Begriffe letztendlich ein autoritärer Kern verbirgt, der noch wenig von libertärem (basisdemokratischen) Geist durchdrungen worden ist.
An verschiedenen Stellen sind die beiden NR-Zeitungen kurz auf das Thema Anarchismus zu sprechen gekommen. Weil der AHDE-Verlag zwei Bücher von dem NR Niekisch herausgegeben hat, wurde er von »Wir selbst« forsch als "national-anarchistisch" (27) eingestuft. Das mehrmalige oberflächliche Erwähnen von anarchistischen Ideen und eine äußerst vage Erklärung, daß man sich "dem anarchistischen Anliegen verbunden" (28) fühle als wirkliches Aufgreifen unserer Vorstellungen mißzuverstehen, davor sollten wir uns hüten.
Anmerkungen:
1. Erich Mühsam in Fanal 1930, Nr.1, S.11
2. "Ein wertvoller Versuch", in: Fanal, 1930, Nr.3, S.71
3. Fanal 1931, Nr.7, S.167
4. Fanal 1930, Nr.1, S.12
5. Wir selbst, 4/80, S.44, v. Klaus Berger.
6. ebenda
7. Wir selbst, 6/80, S. 13, v. Henning Eichberg.
8. ebenda
9. ebenda
10. Nationalismus und Kultur, Rudolf Rocker, S.288, Impuls Verlag Bremen
11. ebenda, S.29O
12. ebenda, S.292
13. ebenda
14. "Neofaschismus. Die Rechten im Aufwind", Sozialpolitischer Verlag, v. Arno Klönne, S.225
15. NR-Plattform, Punkt 16
16. Wir Selbst, 6/81, S.6, v. Siegfried Bublies
17. Albert Camus: "Verteidigung der Freiheit", S.96f.
18. ebenda
19. NR-Plattform, Punkt 1
20. "Links", Nr.140, S.13, v. Egbert Jahn
21. NR-Plattform, Punkt 2
22. Wir Selbst, 3 u. 4/81, S.11, v. Henning Eichberg
23. NR-Plattform, Vorwort
24. "Studien von Zeitfragen", 16/78, S. 14, v. Arno Klönne
25. Blaschke, "Handbuch der westeuropäischen Regionalbewegungen", Syndikat, S.26
26. Wolfgang Hertle: "Larzac" 1971 bis 1981, S.235
27. Wir Selbst, 5/80, S.48
28. Wir Selbst, 4/80, 8.12
Nachwort von 1985 in der "Nostalgieausgabe" von "Schwarzer Faden":
Der Beitrag hat bei Lesern des SF (Schwarzer Faden) wie auch in anderen Zeitschriften (zuletzt in einer Doku des Eschhaus-Heftes zum Thema NR/Neonazis) ein äußerst lebhaftes, wenn auch geteiltes Echo gefunden. In der nachfolgenden Ausgabe meldeten sich zwei Nationalrevolutionäre zu Wort, denen Wolfgang Haug für die Redaktion ausführlich antwortete. In der Nr. 11 befanden sich ebenfalls noch einige Leserbriefe und Bemerkungen zu diesem Thema.
Der Nationalrevolutíonär Henning Eichberg beginnt in seinem Beitrag "Im Namen des Staates den Staat infragestellen?" mit einer positiven Darstellung des Turnvaters Jahn, den er als im Gegensatz zu den Herrschenden stehenden volksnahen Rebell beschreibt. Eichberg sieht in der nationalen Identität eines Volkes ein Instrument, mit dem die von ihm aufgebauten Gegensatzpaare - Vielfalt oder Uniformität, Autonomie oder Herrschaft, Zentralisation oder Balkanisierung für Jedermann - zugunsten einer libertären Entwicklung aufgelöst werden können. Paul Winteracker vom nationalrevolutionären »AUFBRUCH« weist in einem weiteren Diskussionsbeitrag auf verschiedene Berührungspunkte zwischen Anarchisten/Rätekommunisten und Nationalrevolutionären hin und stellt die These auf, daß »die allgemeine Humanität und insbesondere der Kosmopolitismus mittlerweile (...) zur Herrschaftsideologie der multinationalen Konzerne« verkommen sei.
Dem widerspricht Wolfgang Haug energisch und hinterfragt in seiner Antwort die seiner Meinung nach oberflächliche Gegeneinandersetzung von "Volk und Staat" und stellt richtig, daß es den meisten nationalen Befreiungsbewegungen in erster Linie nur um die staatliche Eigenständigkeit und somit nur um eine Veränderung der Herrschaftsformation und der territorialen Grenzen geht. Anarchisten kritisieren die nationalistischen Autonomiebestrebungen genau in dem Punkt, wo sich diese von den selben staatsfixierten Inhalten leiten lassen, wie die Vertreter des von ihnen bekämpften Großstaates es auch tun. Die Vielfalt der Kultur darf nicht an die Vielfalt der kleineren staatlichen Einheiten geknüpft werden, sondern wird sich aus eigenem Wollen und eigenen Prinzipien begründen. Anarchisten setzen einer nationalen Identität die personale Identität von selbstbestimmt handelnden Menschen entgegen, die den Abbau von Herrschaftsstrukturen in allen gesellschaftlichen Bereichen zum Ziel haben.
Das war der damalige Diskussionsverlauf. Danach ging jeder der Diskutanten wieder seiner Wege. Die beiden nationalrevolutionären Zeitungen "AUFBRUCH" und "WIR SELBST" haben sich stabilisiert. Im »AUFBRUCH« finden vermehrt tiefergehende Auseinandersetzungen über Föderalismus, Proudhon, bayrische Räterepublik statt.
Diese gutgemeinten Ansätze entgleiten allerdings immer mehr zu einem abgehobenen Historizismus und erfahren keine auf die heutige Situation gerichtete Weiterentwicklung. In deutschlandpolitischen Fragen bleibt alles so platt wie gehabt - keine Verfeinerung und Präzisierung der Argumente, geschweige denn eine vorsichtige Revision nationalfixierter Sichtweisen; am deutlichsten noch die eindeutige Abgrenzung von rechtsradikalen Positionen durch den AUFBRUCH-Kreis (vgl. etwa Sonderveröffentlichungen "NR-Kontrovers", in denen "Uraltrechte wie Hans-Dieter Sander" (Deutsche Monatshefte) oder "Bernhard Willms" (Verfasser von "Die deutsche Nation"), denen mal wieder eine deutsche Vormachtstellung in Europa vorschwebt, kritisiert werden.)
»Nichts geht in Europa, solange Deutschland geteilt und besetzt ist«, darf Wolfgang Venohr in "WIR SELBST" (2/3, 1985) verkünden und fabuliert über eine "Konföderation Deutschland". Demnach hätten alle libertären Bemühungen zur Umgestaltung dieser Gesellschaft so lange keinen Sinn, bis die alles dominierende nationale Frage gelöst wäre. Eine Bewertung dieser Aufforderung, sich von den sozialen Kämpfen abzuwenden und Perspektiven vorrangig in der Veränderung geopolitischer Kräfteverhältnisse zu suchen, erübrigt sich wohl an dieser Stelle.
Es ist mir ebenfalls völlig unverständlich wie der »AUFBRUCH« (1, 1985) eine mehr als peinliche Lobpreisung des moralisch heruntergekommenen Ernst Jünger hat abdrucken können. Erst kürzlich stellte Jünger seine barbarische Gesinnung im Fernsehen wieder unter Beweis, wo er den kugeldurchlöcherten Stahlhelm eines von ihm erschossenen Engländers aus dem 1. Weltkrieg stolz als Trophäe präsentierte. (siehe auch: Günter Anders in "DIE ZEIT" v. 10.5.85)
Das Studium der beiden nationalrevolutionären Zeitungen verliert für mich zunehmend an Reiz, weil jede Auseinandersetzung mit einem an und für sich interessanten Thema eilfertig zu einem Beweis für die Aktualität der nationalen Frage herhalten muß. Heute, drei Jahre nachdem ich den Artikel geschrieben habe, ist der einstmalige linksradikae Bezug zum Regionalismus fast vollständig einem faden Herkunftspartikularismus und grüner Heimattümelei gewichen.
Die deutsche Realität wird neuerdings in Form von Gedenktagen (8. Mai) in Erinnerung gerufen und fordert erneut zu engagierten Stellungnahmen heraus. Diese sagen dann mehr über den tatsächlichen politischen Standort aus, als alle möglichen anderen weltanschaulichen Bekenntnisse. Am allerwenigsten haben in dieser Auseinandersetzung gerade die Nationalrevolutionäre einen Grund scheinbar über den Dingen zu stehend in erhabenem Ton zu verkünden: "Begehen wir den 8. Mai, lächelnd angesichts der Aufgeregtheiten rechts und links, in dem wachen Bewußtsein, daß vor 40 Jahren das kapitalistische System nur eine andere Gestalt annahm." (AUFBRUCH 1/85)
Die Nationalrevolutionäre tun so, als ob nur die Besatzungsmächte durch »die Ausschaltung jeder deutschen Zentralgewalt, die Unterwerfung aller, auch antifaschistischer, politischer Strömungen unter den Lizenzierungszwang« einen freiheitlich-sozialistischen Neuanfang verhindert hätten. Eine Bevölkerung jedoch, die in ihrer übergroßen Mehrheit fanatische, willige oder doch zumindest gehorsame Gefolgschaft eines faschistischen Regimes war, konnte ganz sicher nicht über Nacht einen freien Sozialismus aufbauen. Diese Erkenntnis ist den Nationalrevolutionären offensichtlich unangenehm, demontiert sie doch die von ihnen in das deutsche Volk gesetzten ganz besonderen Hoffnungen gründlich.
Anmerkung
Bereits in der Zeitschrift "Laser" Nr. 21 habe ich im Februar/März 1980 einen Artikel mit folgendem Titel geschrieben: "Einige Überlegungen zum Verhältnis der Nationalrevolutionäre in der BRD zum Regionalismus". Hier ist er einsehbar:
http://www.machtvonunten.de/nationalisten-rechte-neoliberale.html?view=article&id=139:einige-ueberlegungen-zum-verhaeltnis-der-nationalrevolutionaere&catid=15:nationalisten-rechte-neoliberale
Buchhinweis:
Thomas Wagner "Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten", Aufbau Verlag, 2017, 352 Seiten, 18,95 Euro
Ich möchte an dieser Stelle auf das sehr interessante Buch "Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten" von Thomas Wagner aufmerksam machen. "Die Zeit" schrieb: » Er spricht mit ihnen nicht im üblichen Gestus des extremismusforschenden Entlarvers (...) sondern als neugieriger Diskutant. Das ist zweifellos der Reiz dieses ungewöhnlichen Buches. «
Und die FAZ:"'Eine hart geführte Diskussion, eine argumentative Auseinandersetzung' mit der 'Neuen Rechten' wäre eben keine Kapitulation vor dem Bösen, sondern Ausweis einer demokratischen Streitkultur, schreibt Wagner. Davon könnten auch die Gegner der 'Neuen Rechten' profitieren, indem sie ihre Positionen schärften und unvertraute Perspektive kennenlernten."
In das Buch eingearbeitet wurden mehrere Interviews mit ehemaligen Linken, die sich heute in herausragender Position bei den Identitären und anderen Neuen Rechten befinden. In dem flüssig geschriebenen Buch stecken viele Überraschungen, auch der Anarchismus kommt nicht zu kurz ...
Thomas Wagner besuchte mich im November 2016 in Hamm, um mich zu meinen beiden Artikeln über die "Nationalrevolutionäre" zu befragen, die ich 1982 in "Schwarzer Faden" und 1980 in "Laser" veröffentlicht hatte. Diese haben für sehr viel Aufregung und allerlei Anfeindungen gesorgt, weil allein schon eine höfliche, aber in der Sache bestimmte Kontroverse mit den "Nationalrevolutionären" von einigen Linken und Libertären pauschal als Zusammenarbeit mit Faschisten gebrandmarkt wurde. – Es herrschte damals eine sehr aufgeheizte Stimmung, die mir sehr zu schaffen machte.
Inzwischen hat Thomas Wagner den Faden der Auseinandersetzung von damals auf vielfältige und produktive Weise wieder aufgenommen. Auf den Seiten 84 bis 94 des Buches widmet sich Wagner explizit der Auseinandersetzung um diese beiden Artikel. Hier die Überschriften der einzelnen Kapitel: "Tipps in Basisdemokratie: Der Anarchist und die 'Sache des Volkes'. Nationalrevolutionäre Umweltschützer. Eine ungewöhnliche Debatte. Mit Faschisten redet man nicht."
Nachdem Thomas Wagner bei "Kraut und Schlachteplatte" den Vordenker der "Identitären", Götz Kubitschek, besucht hatte, fahre ich ihn im Kontrast hierzu zuerst zum größten südindischen Hindutempel Europas in Hamm-Uentrop, wo die vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka geflüchteten vegetarischen Tamilen einmal im Jahr den großen Umzug mit 20.000 Menschen veranstalten. Vorbei auch am von uns mit gandhianischen Methoden stillgelegten Thorium Hochtemperaturreaktor (THTR) und die Geschichte beginnt ...
Die ersten 28 Seiten der Einleitung des Buches sind hier einzusehen:
http://www.aufbau-verlag.de/index.php/die-angstmacher.html
Hier ist eine Auswahl aus der Presseresonanz auf dieses Buch einsehbar:
http://www.zeit.de/2017/34/die-angstmacher-thomas-wagner-rechte-afd
https://www.freitag.de/autoren/mladen-gladic/kubitschek-traeumt
https://www.perlentaucher.de/buch/thomas-wagner/die-angstmacher.html
https://www.heise.de/tp/features/Interviewt-die-Rechten-wo-Ihr-sie-trefft-3819191.html
https://www.jungewelt.de/artikel/317846.neue-fassade-alter-geist.html
Sehr kritisch befasst sich Jens Kastner in der Dezemberausgabe 2017 der Zeitschrift "Graswurzelrevolution" mit dem Inhalt dieses Buches:"Lob der einfachen Sprache. Der Soziologe Thomas Wagner bringt entschieden zu viel Verständnis für die Neue Rechte auf":
http://www.graswurzel.net/424/wagner.php
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