Aus: "Unabhängige Bauernstimme", Januar 1994
"Der ewige Kalender" von Oskar Maria Graf
Anläßlich des 100. Geburtstages von Oskar Maria Graf am 22. Juli 1994 veröffentlichen wir in diesem Jahr in jeder Ausgabe der "Unabhängigen Bauernstimme" ein Gedicht aus seinem Buch "Der ewige Kalender".
Diese Gedichte wurden in den Jahren 1948 bis 1951 in New York City geschrieben und von Grafs Freunden zu seinem 60. Geburtstag im Jahre 1954 in einer Auflage von 500 Exemplaren gedruckt und nur privat weitergegeben. Albert Einstein bedankte sich bei Graf für die Zusendung des Jahresspiegels: "Ihr Buch macht mir viel Freude" (G. Bauer: "Gefangenschaft und Lebenslust", S. 359). Lediglich in den Ausgaben der jüdischen Zeitschrift "Aufbau" erfolgte in den 50er Jahren ein fast vollständiger Nachdruck.
Graf bezog sich in seinen Büchern oft auf den landschaftlich geprägten Menschen in der Provinz. Eindringlich, aber auch mit viel Witz und Ironie, schilderte er das Leben der Dörfler, die sich alle auf ihre Weise zäh durch das Leben kämpfen mußten. Bei Graf ist jedoch nicht nur ländliche Bodenständigkeit zu finden. Sie ist bei ihm kombiniert mit einer kosmopolitischen Einstellung, wie sie in diesem national vergifteten Jahrhundert nur noch selten anzutreffen ist. Aus diesem Grund mußte er 1933 vor der faschistischen Barberei fliehen und blieb bis an sein Lebensende im Jahr 1967 im New Yorker Exil.
In seinem lyrischen Jahresspiegel kommt jenseits der großen Politik besonders Grafs Naturverbundenheit zum Ausdruck. In diesen Gedichten beschreibt er Monat für Monat den Kreislauf des Lebens auf dem Land.
Wir bedanken uns beim List-Verlag München für die freundliche Abdruckgenehmigung.
Der Januar
Das greisenhafte Bartgesicht
der Kälte trotzig zugewandt,
so geht im fahlen Winterlicht
der Januar durchs weiße Land
und keiner weiß, wohin er geht.
Als Riese trat er kurz zuvor,
vom Mond der Mitternacht erhellt,
aus dem vereisten Jahrestor
und watet durch den Schnee der Welt,
bis er am Rand des Himmels steht.
Erst dort verweht er schattenhaft,
gigantengroß und himmelweit,
und während die Sekundenkraft
aus Gegenwart erzeugt Vergangenheit,
zieht ohne ihn das Jahr in seiner Bahn.
Doch die Vision in diesem Bild
zerrinnt in einer kurzen Nacht
und wenn, vom Nebel dicht verhüllt,
der nächste bleiche Tag erwacht,
schaut uns der gleiche Winter an . . .
Anmerkung:
Insgesamt habe ich fünf Artikel über Oskar Maria Graf geschrieben. Hier sind drei Weitere einzusehen:
"Oskar Maria Graf zum 100. Geburtstag" (Aus: "Naturfreunde", Nr. 4, 1994):
http://www.machtvonunten.de/literatur-und-politik.html?view=article&id=24:oskar-maria-graf-zum-100-geburtstag&catid=13:literatur-und-politik
"Schuhplattler auf dem Vulkan. Oskar Maria Graf und die Sowjetunion" (Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 181, Oktober 1993)
http://www.machtvonunten.de/literatur-und-politik.html?view=article&id=87:schuhplattler-auf-dem-vulkan&catid=13:literatur-und-politik
"(Nicht nur) Geschichten aus Backstube und Bauernhaus" (Aus: "Mahlzeit!", Juli 1992):
http://www.machtvonunten.de/literatur-und-politik.html?view=article&id=99:nicht-nur-geschichten-aus-backstube-und-bauernhaus&catid=13:literatur-und-politik
Und zusätzlich noch der Leserbrief: "Oskar Maria Grafs Roman 'Der Abgrund'" vom 22. 9. 2000 in "junge Welt":
http://www.machtvonunten.de/leserbriefe.html?view=article&id=261:oskar-maria-grafs-roman-der-abgrund&catid=24:leserbriefe
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