Aus: "Klartext. Soester Studentenzeitung" Nr. 1, Februar 1982
Landwirtschaft: Wie soll es weitergehen?
Die meisten Agrarpolitiker reden davon, daß noch mehr Bauern aufhören müssen. Dabei nimmt die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe schon längst ständig ab:
1970 gab es 1.083.100 Betriebe
1979 gab es 810.000 Betriebe
1980 gab es 797.500 Betriebe (1)
Gleichzeitig vergrößerten sich die Einkommensunterschiede innerhalb der landwirtschaftlichen Betriebe enorm. Der Agrarbericht 1981 unterteilt die Vollerwerbsbetriebe in vier Gruppen und stellt das Einkommen des oberen und des unteren Viertels gegenüber. Selbst bei diesem statistisch geglätten Bericht kommt heraus, daß das untere Viertel mit nur 7.586 DM pro Jahr und Familienarbeitskraft an der Sozialhilfegrenze steht‚ während das obere Viertel mit 57.873 DM das 7,6fache verdient. (2)
Nun fordert der Deutsche Bauernverband eine deutliche Erhöhung der Erzeugerpreise, um angeblich den Ruin der bäuerlichen Landwirtschaft zu stoppen. Bewirkt würde allerdings das Gegenteil: Die Großbauern und die Agrarfabriken können mit höheren Erzeugerpreisen noch mehr Gewinne anhäufen, mit denen sie Rationalisierungsprozesse in Gang setzen werden.
Die noch kleine agrarpolitische Opposition in- und außerhalb des Bauernverbandes fordert deswegen gestaffelte Preiserhöhungen für kleine und mittlere Betriebe, damit sie leben können, ohne wachsen zu müssen und Preissenkung für die Großen, damit ihnen das Wachsen verleidet wird.
Die "Paysan-Travailleur" (Arbeiterbauern) in Frankreich haben ihre Vorschläge für den Milchpreis in diesem Sinne schon konkret formuliert: "Für die ersten 40.000 Liter Milch pro Betrieb soll der Preis um 20% erhöht werden, die nächsten 40.000 Liter erfahren eine 15%ige Preiserhöhung. Was darüber erzeugt wird, soll zu Marktpreisen abgegolten werden." (3)
Gerade die kleinen Betriebe sind es, die unsere Landschaft vielfältig gestalten und schützen, während die gut verdienenden Betriebe zur Pflege der Landschaft und zur Erhaltung der Gesundheit der Menschen nichts beitragen.
Da der Anteil der Erzeugerpreise an den Verbraucherpreisen ständig gesunken ist, bekommt der Bauer heute durchschnittlich nur noch 43 Pfennig von jeder Verbraucher-Mark. Der Rest geht an die Verarbeitung, die Vermarktung, die Nahrungsmittelindustie und den Handel. Wie der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in NRW, Otto Bäumer‚ an verschiedenen Stellen ausführte (4), würden alle Agrarsubventionen zusammen 50.000 DM je Vollerwerbsbetrieb ausmachen, wenn sie beim Bauern ankämen. Es wäre also durchaus möglich, die kleineren Betriebe mit Hilfe von sozialen Zuschüssen aufrecht zu erhalten.
Diese ungewöhnliche Maßnahme hat noch keine Regierung ergriffen, denn es bedeutete eine grundsätzliche Änderung der bisherigen Politik‚ wenn Zuschüsse nicht mehr an Arbeitslose, sondern als garantiertes Mindesteinkommen an Arbeitende gegeben werden. Diese Vorstellungen sind von Dr. Sicco Mansholt entwickelt worden, der früher holländischer Landwirtschaftsminister war und heute Mitglied des Beirates der Stiftung ÖkologiseherLandbau in der BRD ist.
Heute ist die Situation so, daß die bäuerlichen Familienbetriebe in immer größere Abhängigkeit gegenüber den Agrarkonzernen geraten, da die weiterverarbeitende Industrie standartisierte, regelmäßig zu liefernde Produkte in einer bestimmten Menge fordert. Die Eigenständigkeit der Bauern wird durch die Konzentration der vorgelagerten Betriebsmittelindustrien und der nachgelagerten Nahrungsmittelindustrien gefährdet.
Im nachgelagerten Bereich ging die Zahl der Einzelhandelsbetriebe in der Lebensmittelsparte gegenüber den Handelsketten zurück. Aufgrund ihrer Marktmacht haben diese Unternehmen die Preise, die sie den Bauern und den Verbrauchern bieten, fest im Griff. "Der Spitzenreiter der Branche Unilever erzielte mit einer Beschäftigtenzahl‚ die rund ein Drittel der in der Landwirtschaft Tätigen beträgt, rund drei Viertel des des gesamten Agrarfsektors" (5).
Auch bei dem zweitgrößten Ausgabenposten der Bauern, den Düngemitteln, beherrschen drei Unternehmen den Stickstoffmarkt: die Ruhr-Stickstoff AG, die BASF und die Farbwerke Hoechst. Diese sind auch noch alle miteinander verflochten. Durch Absprachen untereinander können die drei Konzerne den Verhandlungespielraum der Bauern bei diesem wichtigen Betriebsmittel so sehr einengen, daß sie keine Chance mehr haben, als gleichberechtigte Geschäftspartner aufzutreten.
"Genossenschaften"
Um sich gegenüber dem übermächtig werdenden Handel und der Konzentration des Kapitals in wenigen Händen zur Wehr zu setzen‚ griffen schon im 19. Jahrhundert die Bauern zur Selbsthilfe und gründeten Waren- und Kreditgenossenschaften. Alle Mitglieder waren gleichberechtigt und hatten gleichen Einfluß auf die Geschäftspolitik der Genossenschaften. Doch schon sehr bald brachten die mächtigeren und angeseheneren Bauern die Vorstände in ihre Hand und bestimmten die Geschäftspolitik.
Das Prinzip "ein Mann - eine Stimme" wurde aufgegeben und große Kapitalgeber erhielten mehrere Stimmen. Anstatt allen Genossen möglichst viele Vorteile zu bieten, strebte das Management danach, bei den Erzeugerpreisen der Bauern die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, während die Bauern an möglichst hohen Preisen interessiert sind. Die Genossenschaft verhält sich wie jedes andere Unternehmen auch und die Bauern haben nichts mehr zu sagen.
Bei dem Bezug von Dünger oder Futtermittel werden die "Genossen" nach der Leistungsfähigkeit selektiert. Bauern mit einer größeren Lagerkapazität und Abnahmemenge erhalten höhere Rabatte als andere Genossen, die diese Möglichkeiten nicht haben. Obwohl andauernd der vielbeschworene Gleichheitsgrundsatz verletzt wird, ziehen die Genossenschaften immer noch propagandistischen Nutzen aus der längst von der Wirklichkeit widerlegten Vorstellung, sie seien die Stütze des kleinen Bauern.
Bauernverband
Viele Vorstandsmitglieder der Genossenschaften haben zusammen mit ihren Kollegen von den Aufsichtsräten der Lebensmittelindustrie und den Großbauern alle wichtigen Funktionen im Deutschen Bauernverband (DBV) besetzt. Da die Kleinbauern nicht genug Zeit haben, um sich mit der Verbandspolitik zu beschäftigen, können sich das nur Großbauern leisten, weil sie meist über Lohnarbeiter verfügen, die die Arbeit auf dem Hof verrichten. Aufgrund des hierarchischen innerverbandlichen Wahlsystems hat die Basis nur geringe Kontrollmöglichkeiten über die Verbandspolitik. Denn die Vorstände der unteren Verbandsebene wählen immer die Vorstände der nächst Oberen.
Während bis 1971 jeder Landesbauernverband eine Stimme hatte‚ wurde danach für jede gezahlten 20.000 DM Jahresbeitrag dem betreffenden Landesverband eine Zusatzstimme zugesprochen und so eine Art Klassenwahlrecht geschaffen.
Wegen der Zusammenarbeit zwischen DBV‚ den Genossenschaften und der Industrie richten sich die Forderungen nach Erhöhung der Verkaufspreise für landwirtschaftliche Produkte immer nur gegen die Regierung und die EG, nicht aber gegen die eigentlichen Verursacher. Schwere Konflikte über die Ausrichtung der Verbandspolitik hat es bisher nicht gegeben, weil ein einheitliches Wert- und Normensystem und die bäuerliche Außenseiterrolle in der Industriegesellschaft die Mitglieder zusammenhält. Die landwirtschaftliche Presse ist fest in der Hand des Bauernverbandes und unterdrückt fast jede kritische Stellungnahme (z. B. Nichtabdruck von Leserbriefen).
Alternativen
Erst als 1976 der Arbeitskreis Junger Landwirte (AKJL) in Bondorf das "Bauernblatt" ins Leben rief, hatte sich die fortschrittliche Opposition im Bauernverband ein Organ geschaffen, in dem die Sorgen und Nöte der Klein- und Mittelbauern offen diskutiert werden konnten. Neben einer Anzahl von weiteren Arbeitskreisen, die sich bundesweit um diese Zeitung gruppieren, wird das "Bauernblatt" auch von Mitgliedern der "Landjugend" gelesen und unterstützt. Diese ist zwar vom Bauernverband finanziell abhängig und gilt als seine Jugendorganisation, doch kommt es immer wieder zu Stellungnahmen und Aktionen, die von der offiziellen Verbandspolitik abweichen und zu heftigen Auseinandersetzungen führen.
Innerhalb der Arbeitskreise des "Bauernblatts" scheiden sich die Geister an der Frage, ob es noch Sinn hat, im Bauernverband zu arbeiten oder ob man eine eigene klein- und mittelbäuerliche Vereinigung gründen soll. Angesichts der zahlenmäßigen Schwäche der agrarpolitischen Opposition stehen realistischerweise erst einmal praktische Probleme im Vordergrund. Die schlechten Erfahrungen mit den Genossenschaften legen ihr eine erneute Beschäftigung mit wirklichen Selbsthilfeeinrichtungen und Selbstvermarktungsformen für ihre Produkte nahe. Erste Ansätze einer kritischen Konsumentenbewegung könnten genutzt werden, um einer auskömmlichen, im Einklang mit der Natur stehenden Landwirtschaft näher zu kommen, ohne dabei einseitige Abhängigkeiten zu schaffen.
Die in einigen Punkten noch unzureichend entwickelten Vorstellungen der erst seit wenigen Jahren bestehenden agrarpolitischen Opposition können nicht von Heute auf Morgen eine Denkweise verändern‚ die seit Jahrzehnten durch die Bestrebungen von Industrie und Zwischenhandel gefördert worden sind. Wollen die Bauern sich nicht mit der wohlfeilen Ausrede "alle dreschen sie auf die Landwirtschaft ein" ins gesellschaftspolitische Abseits zurückziehen‚ dann sollten sie sich in ihrem eigenem Interesse selbstkritisch und mit mehr Offenheit an den zur Zeit laufenden Diskussionen über Lebensmittelqualität, biologischen Landbau und gerechtere Vermarktungsformen beteiligen.
Anmerkungen:
1. Agrarbericht 1981, S. 9
2. ebd.
3. "Freibeuter", Nr. 6, S. 54
4. Dialog 81, S. 18
5. "Forum E", 6/76, S. 8
Das "Bauernblatt" heißt heute "Unabhängige Bauernstimme".
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